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Archäologie bei Netflix – ein paar Anmerkungen zu ‘Die Ausgrabung’ (Originaltitel ‘The Dig’)

Mit Die Ausgrabung bringt Netflix eine Sternstunde der Archäologie ins Fernsehen. Der Ende Januar veröffentlichte Spielfilm handelt von der Entdeckung des Schiffssgrabes von Sutton Hoo im englischen Suffolk durch Basil Brown im Jahr 1939 und basiert auf dem gleichnamigen Roman von John Preston, Neffe der an der Ausgrabung beteiligten Margaret Piggot.

Freilegung des Schiffes von Sutton Hoo 1939.
© Harold John Phillips/gemeinfrei

Das Schiffsgrab unter einem monumentalen Grabhügel (Mound 1) gilt als Bestattung eines angelsächsischen Herrschers des frühen 7. Jahrhunderts, vermutlich von Ræwald, dem ersten historisch sicher belegten König von East Anglia (gest. zwischen 617–625). Der Tote war in einer hölzernen Grabkammer auf einem 27 Meter langen, mit überlappenden Planken (sog. ‚Klinkerbauweise‘) gebauten Schiff – Hinweise auf einen Mast und Segel gab es nicht – beigesetzt worden. Sowohl von dem Leichnam wie auch von dem Schiff waren in der sauren Erde keine organischen Reste mehr erhalten; der Leichnam konnte nur durch erhöhte Phosphatwerte nachgewiesen werden, wohingegen sich die Form des Schiffsrumpfes mit mehreren hundert eisernen Nieten deutlich abzeichnete. In dem Grab wurden spektakuläre Funde gemacht, darunter ein weitestgehend vollständig erhaltener, aufwändig verzierter Spangenhelm mit Gesichtsmaske, Beschläge eines Schildes, ein Schwert mit Gold- und Cloisonnéverzierungen sowie mehrere Speere, Trinkhörner und eine Leier. Zudem fanden sich exquisite Gold- und Silberarbeiten wie Gürtel- und Taschenbeschläge sowie Fibeln aus Gold und mit Cloisonné oder zehn Silberschalen.

Rekonstruktion der Grabkammer in der Sutton Hoo Exhibition Hall.
© Gernot Keller; CC BY-SA 2.5

Viele der Funde aus dem Grab weisen auf überregionale Verbindungen der angelsächsischen Herrscher hin, bspw. in das merowingische Frankenreich in Mitteleuropa sowie bis in den ostmediterranen Bereich. Von besonderer Bedeutung sind aber die markanten Parallelen zu den skandinavischen – besonders ostschwedischen – Schiffsgräbern der Vendelzeit auf den Gräberfeldern von Vendel und Valsgärde. Es kann als sicher gelten, dass zwischen den Eliten in East Anglia und Vendel/Valsgärde enge Kontakte existierten und es wird ausgehend von dem deutlich skandinavischen Charakter vieler Funde darüber spekuliert, ob Ræwald möglicherweise am Hof der Herrscher von Vendel/Valsgärde aufwuchs. Auf diese engen Verbindungen zwischen England und Skandinavien in der angelsächsischen/vendelzeitlichen Periode weist auch das berühmte angelsächsische Epos Beowulf aus dem frühen 8. Jahrhundert hin.

Spangenhelm aus dem Grab von Sutton Hoo.
© British Museum; CC BY-SA 4.0

Die Ausgrabung zeichnet nun die Entdeckung dieses europäischen Äquivalents zum Grab von Tutenchamun erstaunlich akkurat nach, auch wenn sich der Film einige dramaturgische Freiheiten bei der Ausgestaltung der historischen Personen erlaubt und mit dem Fotografen Rory Lomax sogar einen fiktiven Charakter hinzufügt. Es war tatsächlich Edith Pretty, die nach dem Tod ihres Mannes aus einem spiritualistischen Interesse getrieben die Ausgrabung der großen Grabhügel auf ihrem Land in Auftrag gab. Der von ihr angeheuerte Basil Brown war jedoch anders als im Film kein umstrittener Amateur, sondern ein durchaus erfahrener Feldarchäologe, der über reichlich Grabungserfahrung für diverse Museen verfügte. Auch die Rolle von Margaret (Peggy) Piggott als unerfahrenes und nur wegen ihrer schlanken Figur bei der Grabung beschäftigtes – und darüber hinaus auch emotional reichlich überfordertes – Fräulein stimmt nicht mit der historischen Realität überein und stellt sicherlich den größten und durchaus als reichlich sexistisch zu kritisierenden Fauxpas des Filmes dar. Tatsächlich war Margaret Piggott mit ihren 27 Jahren zum Zeitpunkt der Ausgrabung des Schiffsgrabes von Sutton Hoo bereits eine erfahrene und durchaus renommierte Archäologin. Anders als oftmals in den Medien dargestellt wird, kann die Archäologie auf eine ganze Reihe von hochkarätigen und angesehenen Wissenschaftlerinnen zurückblicken, beginnend mit Johanna Mestorf in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch das Alter vieler Charaktere stimmt nicht mit der Realität überein, so waren sowohl Margaret Piggots Mann Stuart als auch Charles Phillips als Archäologe des British Museum deutlich jünger, wohingegen die schwer kranke und wenige Jahre später verstorbene Edith Pretty eigentlich in ihren 50ern war.

Zwar wird die eigentliche Grabungstätigkeit, das Vermessen, Skizzieren und Bergen von Befund und Funden im Film nach der anfänglichen ‚Spatenarbeit‘ kaum thematisiert und zugunsten der dramaturgischen Entwicklung der Charaktere in den Hintergrund gestellt. Viele gezeigte Ereignisse rund um die Grabung haben aber tatsächlich so stattgefunden. So war der große Grabhügel (Mound 1) mit dem Schiffsgrab einer Beraubung dadurch entgangen, dass durch jahrhundertelange landwirtschaftliche Nutzung ein Teil des Hügels erodiert war und so der Zentrum des Hügels nicht mehr über der Grabkammer lag. Auch war es Margaret Piggot, die den ersten goldenen Fund machte.

Der Fokus des Filmes liegt sicherlich weit eher auf den Emotionen der Charaktere als auf der Ausgrabung oder dem spektakulären Fund und hier wurden einige relevante Handlungsstränge zum Bedauern der fachlich interessierten Zuschauer nicht weiter verfolgt. Dennoch lohnt sich der Film als packende Darstellung einer der Sternstunde der Pionierzeit der Archäologie.

Wer sich wissenschaftlich in den spektakulären Fund von Sutton Hoo vertiefen möchte, kann auf der Seite des Ausgräbers Martin Carver den Bericht zu seinen Grabungen dort umsonst herunterladen.