Kaum ein Forschungsergebnis der letzten Jahrzehnte hat in der wissenschaftlichen Welt der wikingerzeitlichen Archäologie wie auch in der populären Wahrnehmung dermaßen für Aufsehen, fachliche Diskussionen und offenen Streit gesorgt, wie der im Sommer 2017 publizierte Artikel eines schwedischen Forscherteams zu der sogenannten ‚Kriegerin von Birka‘. Basierend auf aDNA-Untersuchungen postulierten die Forscher, dass in einem der herausragendsten und reich mit Waffen ausgestatteten Kammergrab Bj 581 auf dem Gräberfeld der Handelssiedlung von Birka in Schweden eine Frau bestattet worden war, die aufgrund der Beigaben als Kriegerin zu deuten sei.
Eine
Welle von Euphorie und Kritik
Während dieser Befund in den Medien und dem öffentlichen Diskurs in den sozialen Netzwerken eine einzigartige und zumeist euphorische Resonanz erhielt, als finaler Beleg für die schon immer vermutete Existenz der derzeit dank Vikings so populären Schildmaiden, reagierten weite Teile der Fachwelt zurückhaltend bis kritisch. Ich selber habe mich in meinem Blog wie auch in einem Artikel in der ‚Archäologie in Deutschland‘ ebenfalls skeptisch zu den Ergebnissen geäußert. Zentraler Punkt meiner Zweifel war die Quellenkritik; die schwedischen Forscher äußerten sich in ihrem ersten, äußerst kurzen und rein naturwissenschaftlich gehaltenen, nur acht Seiten umfassenden Artikel überhaupt nicht zu der Frage nach der korrekten Zuordnung der getesteten Knochen. Das Knochenmaterial von Birka ist nachweislich in vielen Fällen seit der Ausgrabung Ende des 19. Jh. durch viele Umlagerungen durcheinandergekommen und eine anthropologische Auswertung war in den 1980er-Jahren aus diesen Gründen aufgegeben worden.
Die
Birka-Kriegerin, Teil II – Die nötigen Hintergrundinformationen
In einem neuen und wesentlich umfangreicheren Aufsatz, der vor wenigen Tagen erschienen ist, gehen die Forscher rund um Neil Price und Charlotte Hedenstierna-Jonson erstmals auf Kritik und Fragen zu ihrem Vorgehen ein. Intensiv präsentieren sie auf dem 18-seitigen Artikel sowie in einem 29-seitigen Anhang dazu ihr methodisches Vorgehen und diskutieren erstmals auch detailliert unter Berücksichtigung der relevanten Theorien ihre Interpretation der naturwissenschaftlichen Ergebnisse.
Auf
insgesamt acht Seiten (leider erst im Anhang zum eigentlichen Artikel) dokumentieren
die Forscher dabei die Zuordnung der beprobten Knochen zum Kammergrab Bj 581. In
ihrer Argumentation widerlegen sie einige lange innerhalb der schwedischen
Archäologie tradierte Aussagen über den Zustand der Knochen aus Bj 581 und
belegen – in meinen notorisch skeptischen Augen – ohne jeden Zweifel, dass die sicher
per aDNA-Analyse als weiblich bestimmte Knochen aus diesem Kammergrab stammen. Ich
war persönlich sehr davon überzeugt, dass die Zuordnung der Knochen nicht mehr
zweifelsfrei möglich nachzuweisen wäre (ich kenne den Zustand des
Knochenmaterials aus meiner Zeit im SHM aus eigener Anschauung). In der neuen Publikation
wird die Herkunft der Knochen jedoch so detailliert belegt, dass dies in jedem
anderen Fall – wenn es also nicht um den ersten Nachweis einer Frau in einem ‚Kriegergrab‘
ginge – als absolut sicher gelten würde. Damit bleibt aus wissenschaftlicher
Sicht nichts anderes übrig, als die Ergebnisse der schwedischen Forscher als
korrekt zu akzeptieren, in dem Kammergrab Bj 581 wurde eine Frau bestattet!
Mein
zweiter Kritikpunkt war die Interpretation einer möglichen Frauenbestattung mit
Waffen als ‚Kriegerin‘. Wie mehrfach von mir an verschiedenen Stellen angeführt,
stellen Gräber keinen ‚Spiegel des Lebens‘ dar, in denen die Lebensrealität
präsentiert wird. Es lassen sich Dutzende von Beispiele anführen, in denen die
Beigabe von Waffen nicht mit der tatsächlichen sozialen Rolle zu Lebzeiten übereinstimmt,
bspw. kleine Jungen mit Waffen oder Männer, die an ihren Knochen keinerlei
Anzeichen für eine ausgeprägte Muskulatur aufweisen, die bei einer
tatsächlichen Aktivität als Krieger zu erwarten wären.
Diesen
Kritikpunkt kann auch die neue Veröffentlichung nicht gänzlich ausräumen, auch
wenn die Forscher nun erstmals detailliert auf diese Problematik und die
Theorien zur ‚burial archaeology‘ eingehen. Allerdings belegen sie durch eine
intensive Diskussion des Befundes von Bj 581 die außergewöhnliche Stellung, welche
die darin bestattete Frau in der Gesellschaft von Birka innegehabt haben muss.
Das Kammergrab ist nicht nur durch die Beigabe eines vollständigen Waffensets
und die reiche, durch östliche, steppennomadische Einflüsse geprägte Tracht herausragend,
sondern auch durch seine exponierte Lage in unmittelbarer Nähe einer großen Halle,
die aufgrund der vielen Funde von Kriegerausrüstung als Garnison zu deuten ist.
Ich
bin weiterhin der Meinung, dass die konkrete Ansprache der Toten als ‚cavalry
commander‘ aufgrund der Beigabe von einem Brettspiel nebst Spielsteinen und der
prestigeträchtigen Kleidung (zugegeben, diese Interpretation geht auf Inga Hägg
zurück und stammt aus einer Zeit vor der neuen Geschlechtsbestimmung) eine
deutliche Überinterpretation bzw. ein falscher Zirkelschluss ist. Spielsteine treten
in meinen Augen in Elitenbestattungen auf, weil sie Teil des Lebensstils der
lokalen Eliten sind. Sie sind damit gewissermaßen eine Voraussetzung für eine
militärische Rolle, weil die Zugehörigkeit zur Elite Voraussetzung für
militärische Führerschaft ist, nicht weil Spielsteine eine militärische
Funktion bedingen. Anders ausgedrückt, ein Individuum mit Spielsteinen im Grab
gehört zweifelsohne zur sozialen Elite, ohne zwangsläufig aktiv eine
militärische Funktion ausgeübt zu haben.
Dennoch
argumentiert das schwedische Forscherteam schlüssig, dass auch die Tote in Bj
581 in enger Assoziation nicht nur zur lokalen Elite in Birka, sondern auch zu
der deutlich dominanten Sphäre der Krieger gehört zu haben scheint. Ausgehend
von der generellen Skepsis zur Aussagekraft von Bestattungen als Inszenierungen
einer sozialen Persönlichkeit kann weiterhin diskutiert werden, aus welchem Grund
die Frau als Krieger inszeniert bestattet wurde, und wie ihre tatsächliche
Funktion in der sozialen Lebensrealität ausgesehen hat. In dem neuen Aufsatz
wird jedoch nicht gänzlich zu Unrecht Ockhams Rasiermesser angeführt; würde es
sich bei dem Individuum um einen Mann handeln, wäre wohl jeder aufgrund der
Fülle von Hinweisen sofort bereit zu akzeptieren, dass es sich bei dem Toten um
einen hochrangigen Krieger – vielleicht tatsächlich einen Heerführer –
gehandelt hat. Und genau dies tat die Forschung auch für über hundert Jahre,
wie das Forscherteam vollkommen zu Recht anmerkt.
Kriegerinnen
in der Wikingerzeit?
Wie also nun umgehen mit diesem Befund? Trotz aller Skepsis meinerseits bleibt mir als Wissenschaftler nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass im Kammergrab Bj 581 von Birka eine biologische Frau als hochrangiger Krieger bestattet wurde. Alle meine Kritikpunkte, die ich – nach wie vor in meinen Augen vollkommen zu Recht – nach der Veröffentlichung des ersten Artikels angeführt habe, sind in der neuen Publikation diskutiert und überzeugend zurückgewiesen worden. Was bedeutet das nun für unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit und dem Mythos der berühmten Schildmaiden? Bisher ist Bj 581 in dieser Deutlichkeit ein Einzelfall. Es gibt eine Handvoll sicherer Frauengräber, in denen einzelne Waffen – zumeist Äxte – liegen (mein Kollege und guter Freund Leszek Gardeła hat viel dazu gearbeitet und forscht derzeit in seinem ‚Amazons of the North‘-Projekt zu dieser Fragestellung) und ein oder zwei derzeit bekannte unsichere Fälle von Gräbern mutmaßlicher Frauen mit voller Bewaffnung. Lässt man die altnordische Sagaliteratur als nicht wirklich verlässliche Quelle für die Wikingerzeit außer Acht, bleiben einige wenige historische Berichte über Frauen im Kontext von wikingerzeitlichen Kriegszügen (am deutlichsten vermutlich bei dem byzantinischen Geschichtsschreiber John Skylitzes, der von gerüsteten Frauen unter den Gefallenen nach einer Schlacht mit den Rus berichtet). Nicht zuletzt durch den neuen Befund von Bj 581 müssen wir diese Überlieferungen wohl reevaluieren und die Möglichkeit ernst nehmen, dass tatsächlich Frauen in der Wikingerzeit in Einzelfällen auch als Kriegerinnen gekämpft haben. In welchem Umfang und unter welchen sozialen Bedingungen dies stattfand, lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht wissenschaftlich klären. Sollte es sich bei der Kriegerin aus Bj 581 jedoch nicht um einen singulären Befund gehandelt haben, der daher keine Rolle für das generelle Verständnis von Gender und Rollenmodellen in der Wikingerzeit spielt, werden auch zwangsläufig in Zukunft mit neuen naturwissenschaftlichen Analysen von wikingerzeitlichen Bestattungen auch weitere Frauengräber mit Waffen entdeckt werden und uns erlauben, unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit zu rekonstruieren.
Eines
zeigt der Fall ‚Bj 581‘ allerdings deutlich, Archäologie ist und bleibt
spannend und zwingt uns immer wieder, liebgewonnene Gewissheiten über Bord zu werfen.