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Oder: Auch auf Naturwissenschaften ist nicht immer Verlass

Heute mal etwas aus der Bronzezeit, das jedoch auch Auswirkungen auf die aktuelle Forschung zu den Wikingern hat.

2015 hatten Forscher des dänischen Nationalmuseums in Kopenhagen ausgehend von Strontiumisotopenanalysen an der, als 'Mädchen von Egtved' bekannten, bronzezeitlichen Mumie die spektakuläre Entdeckung verkündet, dass die junge Frau erst kurz vor ihrem Tod nach Dänemark gekommen sei, aber vermutlich im Bereich des Schwarzwaldes in Süddeutschland geboren und aufgewachsen sei.

Dieser Befund wurde als weiterer Beweis für die enorm hohe individuelle Mobilität in der Vorgeschichte gefeiert.

Nun wurden diese Ergebnisse einer erneuten Analyse unterzogen, die zu gänzlich anderen Aussagen gelangt und das in der Archäologie zunehmend bedeutsame Werkzeug der Strontiumisotopenanalysen in ein kritisches Licht stellt.

Strontium (Sr) wird durch Niederschlag aus dem Gestein ausgewaschen und gelangt so über Grundwasser, Pflanzen und tierische Nahrung in den Körper jedes Menschen, wo es sich in Knochen und Zähnen ablagert. Da die Isotopenzusammensetzung von Strontium regional leichte Abweichungen aufweist, ermöglicht eine Analyse dieser sogenannten Sr-Isotopensignatur Rückschlüsse darauf, wo ein Mensch aufgewachsen ein - so die Kurzzusammenfassung.

Allerdings ist diese Signatur lange nicht so eindeutig, wie es sich die Archäologie wünschen würde, sondern zeigt manchmal nur grobe Trends auf und erlaubt mitunter auch keine wirklich hilfreiche Zuordnung. So ist bspw. die geologische Sr-Signatur von Gotland und Südschweden nahezu identisch.

Im Falle des Mädchens von Egtved - um auf die neuen Ergebnisse zurückzukommen - zeigt sich noch ein weiterer problematischer Faktor, nämlich die Einwirkung neuzeitlicher Landwirtschaft. Durch die Verwendung von kalkhaltigen Dünger hatte sich die geologische Sr-Signatur in der Umgebung des Grabes von Egtved, die man als Referenz für die lokale Sr-Signatur im mittleren Jütland herangezogen hatte, so stark verändert, dass sie sich deutlich von der Signatur des Strontiums unterschied, das sich in Knochen und Zähnen des Mädchens von Egtved abgelagert hatte.

Neue Untersuchungen in landwirtschaftlich nicht genutzten Gegenden um Egtved herum ergaben im Kontrast dazu eine Sr-Signatur, die ziemlich genau den Werten des Mädchens von Egtved entspricht. Rein theoretisch kann ausgehend von den Sr-Analysen eine Herkunft des Mädchens aus dem Schwarzwald noch immer möglich sein - der Schwarzwald wie auch das mittlere Jütland um Egtved herum weisen eine nahezu identische Sr-Signatur auf - aber eine Herkunft des Mädchens aus Dänemark kann als sicher angenommen werden.

Dieser Befund zeigt deutlich auf, dass die Archäologie auch die neuen naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden nicht ohne jede Vorsicht als Wundermittel wahrnehmen sollte und noch viel Forschung im besten Sinne von 'trial and error' notwendig ist, um solche Faktoren berücksichtigen zu können.

Zwischen den großen wikingerzeitlichen Grabhügeln von Borre in Vestfold, Norwegen, wurde mittels Georadar ein weiteres wikingerzeitliches Schiffsgrab entdeckt, wie Vestfolds Chefarchäologe Terje Gansum nun bekannt gegeben hat. Bisher ist nur wenig genaues über den Fund bekannt und von einer Ausgrabung soll vorerst zugunsten von weiteren nicht-invasiven Untersuchungen mittels Georadar abgesehen werden.

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Kaum ein Forschungsergebnis der letzten Jahrzehnte hat in der wissenschaftlichen Welt der wikingerzeitlichen Archäologie wie auch in der populären Wahrnehmung dermaßen für Aufsehen, fachliche Diskussionen und offenen Streit gesorgt, wie der im Sommer 2017 publizierte Artikel eines schwedischen Forscherteams zu der sogenannten ‚Kriegerin von Birka‘. Basierend auf aDNA-Untersuchungen postulierten die Forscher, dass in einem der herausragendsten und reich mit Waffen ausgestatteten Kammergrab Bj 581 auf dem Gräberfeld der Handelssiedlung von Birka in Schweden eine Frau bestattet worden war, die aufgrund der Beigaben als Kriegerin zu deuten sei.

Eine Welle von Euphorie und Kritik

Während dieser Befund in den Medien und dem öffentlichen Diskurs in den sozialen Netzwerken eine einzigartige und zumeist euphorische Resonanz erhielt, als finaler Beleg für die schon immer vermutete Existenz der derzeit dank Vikings so populären Schildmaiden, reagierten weite Teile der Fachwelt zurückhaltend bis kritisch. Ich selber habe mich in meinem Blog wie auch in einem Artikel in der ‚Archäologie in Deutschland‘ ebenfalls skeptisch zu den Ergebnissen geäußert. Zentraler Punkt meiner Zweifel war die Quellenkritik; die schwedischen Forscher äußerten sich in ihrem ersten, äußerst kurzen und rein naturwissenschaftlich gehaltenen, nur acht Seiten umfassenden Artikel überhaupt nicht zu der Frage nach der korrekten Zuordnung der getesteten Knochen. Das Knochenmaterial von Birka ist nachweislich in vielen Fällen seit der Ausgrabung Ende des 19. Jh. durch viele Umlagerungen durcheinandergekommen und eine anthropologische Auswertung war in den 1980er-Jahren aus diesen Gründen aufgegeben worden.

Die Birka-Kriegerin, Teil II – Die nötigen Hintergrundinformationen

In einem neuen und wesentlich umfangreicheren Aufsatz, der vor wenigen Tagen erschienen ist, gehen die Forscher rund um Neil Price und Charlotte Hedenstierna-Jonson erstmals auf Kritik und Fragen zu ihrem Vorgehen ein. Intensiv präsentieren sie auf dem 18-seitigen Artikel sowie in einem 29-seitigen Anhang dazu ihr methodisches Vorgehen und diskutieren erstmals auch detailliert unter Berücksichtigung der relevanten Theorien ihre Interpretation der naturwissenschaftlichen Ergebnisse.

Auf insgesamt acht Seiten (leider erst im Anhang zum eigentlichen Artikel) dokumentieren die Forscher dabei die Zuordnung der beprobten Knochen zum Kammergrab Bj 581. In ihrer Argumentation widerlegen sie einige lange innerhalb der schwedischen Archäologie tradierte Aussagen über den Zustand der Knochen aus Bj 581 und belegen – in meinen notorisch skeptischen Augen – ohne jeden Zweifel, dass die sicher per aDNA-Analyse als weiblich bestimmte Knochen aus diesem Kammergrab stammen. Ich war persönlich sehr davon überzeugt, dass die Zuordnung der Knochen nicht mehr zweifelsfrei möglich nachzuweisen wäre (ich kenne den Zustand des Knochenmaterials aus meiner Zeit im SHM aus eigener Anschauung). In der neuen Publikation wird die Herkunft der Knochen jedoch so detailliert belegt, dass dies in jedem anderen Fall – wenn es also nicht um den ersten Nachweis einer Frau in einem ‚Kriegergrab‘ ginge – als absolut sicher gelten würde. Damit bleibt aus wissenschaftlicher Sicht nichts anderes übrig, als die Ergebnisse der schwedischen Forscher als korrekt zu akzeptieren, in dem Kammergrab Bj 581 wurde eine Frau bestattet!

Mein zweiter Kritikpunkt war die Interpretation einer möglichen Frauenbestattung mit Waffen als ‚Kriegerin‘. Wie mehrfach von mir an verschiedenen Stellen angeführt, stellen Gräber keinen ‚Spiegel des Lebens‘ dar, in denen die Lebensrealität präsentiert wird. Es lassen sich Dutzende von Beispiele anführen, in denen die Beigabe von Waffen nicht mit der tatsächlichen sozialen Rolle zu Lebzeiten übereinstimmt, bspw. kleine Jungen mit Waffen oder Männer, die an ihren Knochen keinerlei Anzeichen für eine ausgeprägte Muskulatur aufweisen, die bei einer tatsächlichen Aktivität als Krieger zu erwarten wären.

Diesen Kritikpunkt kann auch die neue Veröffentlichung nicht gänzlich ausräumen, auch wenn die Forscher nun erstmals detailliert auf diese Problematik und die Theorien zur ‚burial archaeology‘ eingehen. Allerdings belegen sie durch eine intensive Diskussion des Befundes von Bj 581 die außergewöhnliche Stellung, welche die darin bestattete Frau in der Gesellschaft von Birka innegehabt haben muss. Das Kammergrab ist nicht nur durch die Beigabe eines vollständigen Waffensets und die reiche, durch östliche, steppennomadische Einflüsse geprägte Tracht herausragend, sondern auch durch seine exponierte Lage in unmittelbarer Nähe einer großen Halle, die aufgrund der vielen Funde von Kriegerausrüstung als Garnison zu deuten ist.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass die konkrete Ansprache der Toten als ‚cavalry commander‘ aufgrund der Beigabe von einem Brettspiel nebst Spielsteinen und der prestigeträchtigen Kleidung (zugegeben, diese Interpretation geht auf Inga Hägg zurück und stammt aus einer Zeit vor der neuen Geschlechtsbestimmung) eine deutliche Überinterpretation bzw. ein falscher Zirkelschluss ist. Spielsteine treten in meinen Augen in Elitenbestattungen auf, weil sie Teil des Lebensstils der lokalen Eliten sind. Sie sind damit gewissermaßen eine Voraussetzung für eine militärische Rolle, weil die Zugehörigkeit zur Elite Voraussetzung für militärische Führerschaft ist, nicht weil Spielsteine eine militärische Funktion bedingen. Anders ausgedrückt, ein Individuum mit Spielsteinen im Grab gehört zweifelsohne zur sozialen Elite, ohne zwangsläufig aktiv eine militärische Funktion ausgeübt zu haben.

Dennoch argumentiert das schwedische Forscherteam schlüssig, dass auch die Tote in Bj 581 in enger Assoziation nicht nur zur lokalen Elite in Birka, sondern auch zu der deutlich dominanten Sphäre der Krieger gehört zu haben scheint. Ausgehend von der generellen Skepsis zur Aussagekraft von Bestattungen als Inszenierungen einer sozialen Persönlichkeit kann weiterhin diskutiert werden, aus welchem Grund die Frau als Krieger inszeniert bestattet wurde, und wie ihre tatsächliche Funktion in der sozialen Lebensrealität ausgesehen hat. In dem neuen Aufsatz wird jedoch nicht gänzlich zu Unrecht Ockhams Rasiermesser angeführt; würde es sich bei dem Individuum um einen Mann handeln, wäre wohl jeder aufgrund der Fülle von Hinweisen sofort bereit zu akzeptieren, dass es sich bei dem Toten um einen hochrangigen Krieger – vielleicht tatsächlich einen Heerführer – gehandelt hat. Und genau dies tat die Forschung auch für über hundert Jahre, wie das Forscherteam vollkommen zu Recht anmerkt.

Kriegerinnen in der Wikingerzeit?

Wie also nun umgehen mit diesem Befund? Trotz aller Skepsis meinerseits bleibt mir als Wissenschaftler nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass im Kammergrab Bj 581 von Birka eine biologische Frau als hochrangiger Krieger bestattet wurde. Alle meine Kritikpunkte, die ich – nach wie vor in meinen Augen vollkommen zu Recht – nach der Veröffentlichung des ersten Artikels angeführt habe, sind in der neuen Publikation diskutiert und überzeugend zurückgewiesen worden. Was bedeutet das nun für unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit und dem Mythos der berühmten Schildmaiden? Bisher ist Bj 581 in dieser Deutlichkeit ein Einzelfall. Es gibt eine Handvoll sicherer Frauengräber, in denen einzelne Waffen – zumeist Äxte – liegen (mein Kollege und guter Freund Leszek Gardeła hat viel dazu gearbeitet und forscht derzeit in seinem ‚Amazons of the North‘-Projekt zu dieser Fragestellung) und ein oder zwei derzeit bekannte unsichere Fälle von Gräbern mutmaßlicher Frauen mit voller Bewaffnung. Lässt man die altnordische Sagaliteratur als nicht wirklich verlässliche Quelle für die Wikingerzeit außer Acht, bleiben einige wenige historische Berichte über Frauen im Kontext von wikingerzeitlichen Kriegszügen (am deutlichsten vermutlich bei dem byzantinischen Geschichtsschreiber John Skylitzes, der von gerüsteten Frauen unter den Gefallenen nach einer Schlacht mit den Rus berichtet). Nicht zuletzt durch den neuen Befund von Bj 581 müssen wir diese Überlieferungen wohl reevaluieren und die Möglichkeit ernst nehmen, dass tatsächlich Frauen in der Wikingerzeit in Einzelfällen auch als Kriegerinnen gekämpft haben. In welchem Umfang und unter welchen sozialen Bedingungen dies stattfand, lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht wissenschaftlich klären. Sollte es sich bei der Kriegerin aus Bj 581 jedoch nicht um einen singulären Befund gehandelt haben, der daher keine Rolle für das generelle Verständnis von Gender und Rollenmodellen in der Wikingerzeit spielt, werden auch zwangsläufig in Zukunft mit neuen naturwissenschaftlichen Analysen von wikingerzeitlichen Bestattungen auch weitere Frauengräber mit Waffen entdeckt werden und uns erlauben, unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit zu rekonstruieren.

Eines zeigt der Fall ‚Bj 581‘ allerdings deutlich, Archäologie ist und bleibt spannend und zwingt uns immer wieder, liebgewonnene Gewissheiten über Bord zu werfen.

Auch in der aktuellen Archäologie in Deutschland (02/2019) findet sich ein neuer Artikel von mir, zu einem meiner Lieblingsthemen der letzten Zeit, der Rolle der Katzen in der skandinavischen Wikingerzeit. Der Artikel ist eine kurze, populärwissenschaftliche Vorschau auf ein größeres Forschungsprojekt, das die Funktion und Symbolik der Katze in der Wikingerzeit auf Grundlage der archäologischen Funde neu betrachtet, losgelöst von den späteren mythologischen Quellen.

Im Newsletter der Universität Tübingen ist heute ein Bericht über meine Forschungen zu den artifiziellen Schädeldeformationen in der skandinavischen Wikingerzeit veröffentlicht worden.

Eine neue Studie eines Forscherteams der Universität Reykjavík auf Island hat mittels aDNA-Analysen an Pferden in wikingerzeitlichen Bestattungen aufzeigen können, dass der absolute Großteil der mit ins Grab gegebenen Pferde männlich war. So interessant dieses Ergebnis ist, so problematisch ist doch die daraus gezogene gerade so populäre Schlussfolgerung, die Hengste wären als Männlichkeitssymbol ob ihrer Virilität mit ins Grab gelangt. Ebenso muss die These diskutiert werden, dass in einer so dermaßen auf das Pferd fokussierten Gesellschaft wie in der isländischen Wikingerzeit, die Hengste möglicherweise einfach viel entbehrlicher waren, als die Stuten, die zur Nachzucht benötigt wurden.

Passend zu meiner derzeitigen Beschäftigung mit Katzen in der skandinavischen Wikingerzeit ist eine interessante
paläoosteologische Untersuchung zum Größenwachstum von Katzen
ab der Wikingerzeit publiziert worden.

In der NZZ ist ein spannender Bericht über den Mythos Wikinger und das moderne Nachleben der Wikingerzeit erschienen, mit einem Interview mit meiner Kollegin Dr. Katharina Nordström.

In der antike Stadt Patara an der südwestlichen Küste der Türkei wurde ein Wikingerschwert des 10. Jh. gefunden. Der im ersten Moment möglicherweise unerwartet erscheinende Fund ist ein weiterer archäologischer Beleg für die Präsent skandinavischer Händler und Söldner im östlichen Mittelmeerraum sowie für die Bedeutung und Anziehungskraft, die das damalige Konstantinopel (das heutige Istanbul) als Hauptstadt des byzantinischen Reiches und Nabel der Welt auch für die Wikinger gehabt hat.