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Im Newsletter der Universität Tübingen ist heute ein Bericht über meine Forschungen zu den artifiziellen Schädeldeformationen in der skandinavischen Wikingerzeit veröffentlicht worden.

Eine neue Studie eines Forscherteams der Universität Reykjavík auf Island hat mittels aDNA-Analysen an Pferden in wikingerzeitlichen Bestattungen aufzeigen können, dass der absolute Großteil der mit ins Grab gegebenen Pferde männlich war. So interessant dieses Ergebnis ist, so problematisch ist doch die daraus gezogene gerade so populäre Schlussfolgerung, die Hengste wären als Männlichkeitssymbol ob ihrer Virilität mit ins Grab gelangt. Ebenso muss die These diskutiert werden, dass in einer so dermaßen auf das Pferd fokussierten Gesellschaft wie in der isländischen Wikingerzeit, die Hengste möglicherweise einfach viel entbehrlicher waren, als die Stuten, die zur Nachzucht benötigt wurden.

Passend zu meiner derzeitigen Beschäftigung mit Katzen in der skandinavischen Wikingerzeit ist eine interessante
paläoosteologische Untersuchung zum Größenwachstum von Katzen
ab der Wikingerzeit publiziert worden.

In der NZZ ist ein spannender Bericht über den Mythos Wikinger und das moderne Nachleben der Wikingerzeit erschienen, mit einem Interview mit meiner Kollegin Dr. Katharina Nordström.

In der antike Stadt Patara an der südwestlichen Küste der Türkei wurde ein Wikingerschwert des 10. Jh. gefunden. Der im ersten Moment möglicherweise unerwartet erscheinende Fund ist ein weiterer archäologischer Beleg für die Präsent skandinavischer Händler und Söldner im östlichen Mittelmeerraum sowie für die Bedeutung und Anziehungskraft, die das damalige Konstantinopel (das heutige Istanbul) als Hauptstadt des byzantinischen Reiches und Nabel der Welt auch für die Wikinger gehabt hat.

Schon seit einigen Jahren wird die klassische Datierung der ersten Besiedlung Islands durch Norweger gegen Ende des 9. Jh. immer wieder diskutiert. Als Beginn der nordischen Landnahme gilt üblicherweise das Jahr 874, aber es mehren sich die Hinweise, dass bereits im Laufe des 8. Jh. eine erste Besiedlung der Insel stattfand. Neben einer Reihe von wenig ernstzunehmenden Argumenten, wie Funde von römischen Münzen des 3. Jh., sind es besonders Siedlungsreste, die stratigraphisch unter der sogenannten 'settlement layer' liegen, welche die klassische Geschichte in Frage stellen. Bei dieser 'settlement layer' handelt es sich um die Ascheschichten eines Vulkanausbruches aus den frühen 870er-Jahren und damit vor der 'offiziellen' Besiedlung Islands. Siedlungsreste unter dieser Schicht müssen zwangsläufig vor dem Vulkanausbruch und damit vor der offiziellen Landnahme angelegt worden sein. Im Osten Islands sind nun weitere Siedlungsreste unter der 'settlement layer' entdeckt worden, die zudem über die Radiokarbonmethode (14C) auf den Beginn des 9. Jh. datiert werden konnten und damit nahelegen, dass Island bereits früher als bisher angenommen besiedelt wurde.

Seit ein paar Tagen kursiert ein Aufsatz schwedischer Forscher im Internet, der eine bereits 2013 vorgestellte, auf osteologischen Untersuchungen basierende Vermutung durch aDNA-Analysen bestätigt. Die Gruppe um zwei mir persönlich bekannte und von mir sehr geschätzte Forscherinnen belegt darin, dass die skeletalen Überreste im Kammergrab Bj 581 von Birka tatsächlich zu einer Frau gehören, ein Umstand, der insofern Aufsehen erregend ist, als dass in besagtem Kammergrab eine umfangreiche Grabausstattung gefunden wurde, die von der Archäologie traditionell mit der männlichen Kriegersphäre asoziiert wird und nun als Beleg für weibliche Krieger in der skandinavischen Wikingerzeit gedeutet wird.

Diese Debatte und die methodologischen wie theorieorientierten Hintergründe dieses Grabes beschäftigen mich seit dem Beginn meiner Doktorarbeit, in der ich eine ähnliche Konstellation zu bearbeiten hatte und mich aus mehreren Gründen gegen eine so spektakulär erscheinende Deutung entschieden habe (Wen es interessiert, die Arbeit ist hier aufzurufen; S. 17-22, 62-65, 199 f.)

Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung sind faszinierend und geben (noch mehr) Anlass, die traditionelle Vorstellung von der skandinavischen Wikingerzeit frei von Vorurteilen und kulturell geprägten Antizipationen zu betrachten... sowohl losgelöst von traditionellem Rollendenken einer absoluten Gleichsetzung von sex und gender wie auch losgelöst von einer totalen Auflösung des gender-Konzeptes. Ich bin ziemlich davon überzeugt, dass die traditionelle Geschlechtsbestimmung in der Archäologie (Waffen = Mann, Schmuck = Frau) zumindest in der skandinavischen Wikingerzeit zwar zum überwältigen Teil zutreffend ist, uns aber dadurch einige abweichende und spannende Befunde entgangen sind, möglicherweise eben auch das Kammergrab Bj 581.

Trotzdem ist die aktuelle Studie mit Vorsicht zu deuten, ich möchte nur zwei Aspekte ansprechen, die mir besonders wichtig erscheinen. Eine umfassende und sehr treffende Kritik von Judith Jesch findet sich hier.

Zum einen bedeutet die Beigabe von Waffen nicht automatisch ein Leben als Krieger, weder bei Männern noch bei Frauen... die Toten bestatten sich nicht selbst und Gräber sind kein Spiegel des Lebens (und Spielfiguren im Grab sind kein(!) Hinweis auf eine taktische Beschäftigung, sondern Spielsteine...)! Das sollte inzwischen bei jedem Archäologen angekommen sein (Fachliteratur dazu zähle ich hier aus Platzgründen nicht auf, eine Diskussion dazu sowie Literaturverweise finden sich in meiner Dissertation, S. 17-20).

Zum anderen ist die Zuordnung der Skelettreste zu den einzelnen Gräbern in Birka schwierig bis grenzwertig. Die Ausgrabungen sind zum Teil mehr als 100 Jahre alt und der wissenschaftliche Grabungsstandard wies damals nicht die notwendige Sorgfalt auf wie heute. Meines Wissens noch können wir nicht mit (der notwendigen) absoluten Sicherheit sagen, dass die beprobten Knochen tatsächlich aus dem Kammergrab Bj 581 stammen (siehe dazu auch die relativ vernichtende Aussage zur Möglichkeit einer anthropologischen Auswertung der Gräber von Birka im Band 'Birka II:3' auf S. 144 (dort wird explizit angemerkt, dass dem betreffenden Kammergrab Bj 581 ein männliches und ein weibliches Skelett zugeordnet werden!) oder Jörn Staeckers Aufsatz von 2009: 'Geschlecht, Alter und materielle Kultur. Das Beispiel Birka', in: eds S. Brather, D. Geuenich & C. Huth, Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Festschrift für Heiko Steuer zum 70. Geburtstag, Berlin, 475–500).

Für mich sind die Ergebnisse der schwedischen Kollegen ein aufregender (und mutiger) Schritt in die Richtung einer kritischen Reevaluation unserer traditionellen Vorstellungen von der skandinavischen Wikingerzeit! Ich weiß selber nicht, ob ich an die Existenz von Kriegerinnen glaube (oder glauben möchte), aber wir sollten diesen Gedanken als eine Arbeitshypothese zulassen und es ist wissenschaftlich gesehen der einzige korrekte Weg, gender (im archäologischen Befund) und sex (über eine naturwissenschaftliche Auswertung) zuerst einmal voneinander zu trennen und im Idealfall über eine holistische Untersuchung vorurteilsfrei mit-/gegeneinander in Deckung oder Kontrast zu setzen. Genau das versucht die vorliegende Studie, aber (!) aufgrund einer Reihe von relevanten Kritikpunkten ist sie maximal ein Anhaltspunkt für die mögliche Existenz von Frauenbestattungen mit Kriegerausrüstung, aber kein (!) Beleg für die Existenz von Kriegerinnen!