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Heute jährt sich der Überfall auf das angelsächsische Kloster von Lindisfarne an der Küste von Northumbria durch skandinavische Piraten. Die Schändung dieses heiligen Ortes im Jahr 793 n. Chr. war für die europäische Christenheit so schockierend, dass dieses Ereignis bis heute als Fanal für die Wikingerzeit gilt.

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Auf der dänischen Insel Lolland ist nahe Rødbyhavn bei Bauarbeiten für einen Tunnel zwischen der deutschen Insel Fehmarn und Lolland eine bislang einzigartige Halle der Wikingerzeit entdeckt worden. Mit fast 50 Meter Länge wird die Halle derzeit nur noch von der 61 Meter messenden Halle aus Lejre, einem frühen dänischen Herrschaftssitz, sowie der über 80 Meter langen Halle von Borg auf den Lofoten in Nordnorwegen, übertroffen.

Was die Halle von Rødbyhavn allerdings einzigartig macht, ist ihre Bauweise. Die übrigen großen Hallengebäude hatten leicht gebogene und mit äußeren Stützbalken versehene Wände aus dicken Holzbohlen, die den Hallen die Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes gaben. Die Halle von Rødbyhavn war hingegen rechteckig und die Wände bestanden aus Flechtwerk mit Lehmverputz. Diese Bauweise ist aus der Wikingerzeit ansonsten bislang nur von kleineren Häusern bekannt.

Vor wenigen Wochen wurden die Ergebnisse von neuen Untersuchungen an dem berühmten Scharrbild des keulenschwingende Giganten von Cerne Abbas veröffentlicht, die ein überraschendes neues Licht auf die mögliche Entstehungszeit des Bildes werfen und zudem aufzeigen, dass Monumente in der Landschaft offensichtlich zu allen Zeiten die Menschen fasziniert haben.

Der Cerne Abbas Gigant bei Dorchester, Dorset.
© Wikipedia; CC BY-SA 3.0

Der Gigant von Cerne Abbas ist ein 55 Meter hohes Scharrbild eines nackten Mannes mit erhobener Keule und erigiertem Penis in einem Hügel bei Dorchester im englischen Dorset. Um die Herkunft des Giganten ranken sich seit Jahrhunderten unterschiedlichste Theorien. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Scharrbild in den ersten ein oder zwei Jahrhunderten nach Christ Geburt in der Eisenzeit entstand und entweder der keltischen Kultur oder der späteren romano-britischen Bevölkerung zugeschrieben werden muss. Es wurde daher oft als Abbildung des keltischen Gottes Taranis oder des griechischen Heroen Herkules interpretiert. So kann das berühmte Uffington White Horse in Oxfordshire – das Scharrbild eines über 100 Meter langen Pferdes – an den Übergang zwischen Bronze- und Eisenzeit (etwa 1400–500 v. Chr.) datiert werden. Da die auffällige und weithin sichtbare Figur erst gegen Ende des 17. Jh. in den schriftlichen Aufzeichnungen erwähnt wird, wurde auch oftmals eine neuzeitliche Entstehung diskutiert, bspw. als Karikatur auf den Politiker Oliver Cromwell.

Das Scharrbild eines Pferdes (Uffington White Horse) in den Hügeln von Berkshire Downs, Oxfordshire.
© Wikipedia; CC BY-SA 3.0

Im Sommer 2020 wurden erste Ergebnisse von Bodenproben veröffentlicht, bei denen Überreste einer Schneckenart in dem Kalkschotter des Scharrbildes entdeckt wurden, die jedoch erst im 13./14. Jahrhundert nach England gelangten. Diese Resultate schienen eine spätmittelalterliche oder sogar neuzeitliche Datierung des Cerne Abbas Giganten zu stützen.

Neueste Untersuchungen an dem Scharrbild mittels Optisch stimulierter Lumineszenzdatierung (OSL) haben diese Deutung nun wieder überworfen. Bei der Thermolumineszenzdatierung kann das Alter von Gesteinsproben (grob zusammengefasst) daran bestimmt werden, wie lange und intensiv die Proben der Sonneneinstrahlung ausgesetzt waren. Im Fall des Cerne Abbas Giganten ergaben die Untersuchungen, dass zumindest ein Teil des Bildes bereits im Frühmittelalter, etwa zwischen 700–1000 n. Chr. angelegt worden sein muss. Das gigantische Bild des nackten, keulenschwingenden Mannes ist damit wikingerzeitlich!

Neben den durchaus spektakulären neuen Ergebnissen zeigen die unterschiedlichen Datierungsansätze gut auf, dass solche eindrucksvollen Monumente nie als statisch zu betrachten sind. Zu allen Zeiten wird der Cerne Abbas Gigant dynamische Interaktionen provoziert haben – die Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit werden das Bild gesehen und es werden immer neue Mythen und Legenden um die Schöpfer des Bildes und seine Bedeutung entstanden sein. So überrascht es eigentlich kaum, dass Schneckenschalen auf eine Interaktion mit dem Bild im Spätmittelalter hinweisen. Auch damals werden Menschen den Hügel besucht und das Bild betrachtet und vielleicht sogar verändert haben. Darauf deutet bspw. eine heute nicht mehr sichtbare Fläche unter dem ausgestreckten linken Arm der Figur hin, die ursprünglich vielleicht einen Mantel oder ein Fell darstellte. Und auch der überdeutliche, 7 Meter lange erigierte Penis wurde nachträglich verlängert und überdeckte den Bauchnabel.

Wen das Bild jedoch darstellen soll, ist bis heute nicht klar. Auch bei einer Datierung in die Wikingerzeit wäre eine Interpretation bspw. als Herkules durchaus möglich. Der britische Mediävist Tom Morcom hat jedoch eine völlig neue, durchaus überraschende These präsentiert: Er deutet den Cerne Abbas Giganten als Abbildung des Heiligen Eadwold. Eadwold lebte im 9. Jahrhundert, war Angehöriger des Königshauses von East Anglia und Bruder des berühmten Königs Edmund. Er lebte jedoch als Einsiedler bei Cerne, nicht weit von den Hügeln entfernt, in denen heute das Scharrbild des Giganten zu sehen ist und gilt als Schutzheiliger der Region. Bei einem der vielen ihm zugeschriebenen Wunder erwuchs aus seinem Pilgerstab ein neuer Baum, was er als Zeichen Gottes deutete, sich an dieser Stelle niederzulassen. Die Keule des Cerne Abbas Gigant könnte demnach seinen Pilgerstab darstellen. Auch die Nacktheit des Giganten wäre kein Hindernis für diese Deutung. Der Verzicht auf Kleidung entsprach durchaus den Vorstellungen von Askese. Und die deutlich eingezeichneten Rippen des Giganten könnten demnach auf seine ausgemergelte und unterernährte Gestalt hindeuten.

Die neue Datierung in die Wikingerzeit wirft ein völlig neues Licht auf den Cerne Abbas Giganten. Fast noch spannender sind aber vielleicht die Mythen, Legenden und Erklärungsversuche mit denen Menschen jeder Zeit bis heute versuchten, dieses Monument zu verstehen und einzuordnen.

Als Werbegag anlässlich des Simpsons-Films wurde 2007 eine große Zeichnung von Homer Simpson mit biologisch abbaubarer Farbe neben den Cerne Abbas Giganten gemalt.
© The Guardian 2007

In dem neuesten Newsletter der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e.V. (DGUF) werden anlässlich des Jubiläums der 100. Ausgabe Themen diskutiert, über die man in der Archäologie spricht oder dringend sprechen sollte. Ich habe mich daran mit einem Beitrag zur Rolle der Medien in der Vermittlung von Archäologie beteiligt. Den kompletten, über 100 Seiten starken Newsletter kann man >hier< herunterladen.

Nächste Woche halte ich am Donnerstag, dem 20. Mai, um 10:00 Uhr im Rahmen des Kurses "Einführung ins nordische Mittelalter" an der Universität zu Köln einen digitalen Einführungsvortrag zu den Wikingern.

Wer Zeit und Interesse hat, kann sich per Zoom zu dem Vortrag dazuschalten.

– oder was können wir überhaupt über die Wikingerzeit wissen?

Bei Unterhaltungen mit Freunden, Bekannten oder anderen Wikinger-Interessierten oder bei Diskussion im Internet fällt mir häufig auf, dass das tatsächlich vorhandene Fachwissen zur Wikingerzeit weit überschätzt wird. Zwar haben wir mit der Archäologie eine enorme und stetig wachsende Menge an Funde, aber ebenso wie die Schriftquellen, die uns zur Erforschung der Wikingerzeit zur Verfügung stehen, bilden diese Funde immer nur Ausschnitte der historischen Realität ab und müssen genauso wie die Schriftquellen interpretiert werden. Und so sind auch noch nach fast 150 Jahren wissenschaftlicher Erforschung der Wikingerzeit noch immer viele Leerstellen in unserem Wissen vorhanden, bei denen wir entweder nur spekulieren können oder als Wissenschaftler schlicht auch einmal sagen müssen: "Das wissen wir derzeit noch nicht".

Ich habe daher einmal einen etwas längeren >>Text<< geschrieben, in dem ich die Quellen diskutiere, die uns für die Wikingerzeit vorliegen, was wir diesen Quellen entnehmen können und vor welche Probleme wir mit der Auswertung dieser Quellen gestellt werden.

Bei Untersuchungen in der Lavahöhle Surtshellir nahe des Langjökull im zentralen westlichen Island wurde durch Forscher des Haffenreffer Museum of Anthropology bereits 2012–2013 ein enorm spannender wikingerzeitlicher Kultplatz ausgegraben, der jetzt im Journal of Archaeological Science publiziert wurde.

Die Höhle Surtshellir entstand vermutlich im 9. Jahrhundert durch fließende Lava in Folge eines Vulkanausbruches des Langjökull und ist eine der längsten, bekannten Lavaröhren Islands. Die Höhle, die nach dem Feuerriesen Surtr der altnordischen Mythologie benannt ist, wurde bereits in der altnordischen Sagaliteratur des 13. Jahrhunderts erwähnt als Zuflucht von Gesetzlosen, die in den unwirtlichen Lavafeldern im Inneren der Insel leben mussten.

Eingang der Surtshellir.
© Leon Dolman (CC BY-NC-ND 2.0)

Die neuen Untersuchungen erlaubten nun mittels 14C-Datierungen, die Entstehung der Höhle besser nachvollziehen zu können. Der Lavatunnel bildete sich, als bei einem Ausbruch des Langjökull im späten 9. Jahrhundert etwa 240 km² mit Lava bedeckt wurden. Spannenderweise legt diese Datierung nahe, dass die ersten, aus Norwegen stammenden Siedler, die sich ab 870 auf Island niederließen, diesen Vulkanausbruch vermutlich miterlebt haben. Es kann nur darüber spekuliert werden, welche gewaltigen Eindrücke ein Vulkanausbruch bei den Wikingern hinterlassen haben muss.

Einen möglichen Hinweis darauf, wie sehr sich dieser Vulkanausbruch in das Bewusstsein und die Mythologie der Wikinger einprägte, fanden die Forscher nun bei den Ausgrabungen 300 Meter tief in der Höhle Surtshellir mit einem mutmaßlichen Kultplatz. Etwa 10 Meter unter der Erde war mit großen Felsblöcken eine schiffsförmige Struktur gebildet worden, in der große Mengen von verbrannten Tierknochen von Schafen/Ziegen, Pferden, Schweinen und Rindern lagen. Zudem fanden sich Perlen und ein kleines kreuzförmiges Bronzegewicht. Weitere Haufen mit Tierknochen zogen sich fast 120 Meter durch die Höhle.

Die schiffsförmige Steinsetzung in der Surtshellir.
© Kevin P. Smith/Haffenreffer Museum of Anthropology

Die Datierungen der Knochen legen nahe, dass Surtshellir bereits wenige Jahre nach der Entstehung als besonders mystischer Ort wahrgenommen wurde, vielleicht als Schwelle zwischen dem Diesseits und der Unterwelt. Möglicherweise sind die Tierknochen die Reste von Opferritualen, mit denen die Wikinger unter dem Eindruck des Vulkanausbruches die Götter besänftigen wollten. Interessanterweise endeten die rituellen Handlungen in Surtshellir relativ zeitgleich mit der offiziellen Annahme des Christentums auf Island im Jahr 1000 und auch die Deponierung des kreuzförmigen Bronzegewichtes kann möglicherweise als eine christliche ‚Versieglung‘ des heidnischen Opferplatzes verstanden werden.

Die neuen Ergebnisse aus Surtshellir erweitern nicht nur unser Wissen um religiöse Aktivitäten der Wikinger auf Island, sondern sie lassen auch die mythologischen Überlieferungen der altnordischen Literatur in neuem Licht erscheinen. Möglicherweise hielt die Erinnerung an den Vulkanausbruch Einzug in die wikingerzeitliche Mythologie und war Ausgangspunkt für die Vorstellung von Ragnarök als Untergang der Welt. Darauf könnte auch der Name der Höhle hindeuten, denn der Feuerriese Surtr ist der altnordischen Mythologie zufolge einer zentralen Protagonisten im finalen Kampf der Götter mit den Riesen.

Das Surtshellir Archaeological Project hat auch eine Facebook-Seite, auf der neue Ergebnisse vorgestellt werden.

Anlässlich des heutigen 75. Geburtstages meines erklärten Lieblingsschriftstellers Sven Nordqvist (stort grattis, käre Sven!) möchte ich gerne eines seiner weniger bekannten Werke vorstellen: „Die Leute von Birka. So lebten die Wikinger“.

Das Buch erschien bereits 1999 (2002 in deutscher Übersetzung) und kombiniert eine spannende Erzählung mit harten archäologischen Fakten zu den Wikingern. Beteiligt waren neben Sven Nordqvist, der die Illustrationen zeichnete, der schwedische Schriftsteller Mats Wahl sowie Björn Ambrosiani, der große Pate der schwedischen wikingerzeitlichen Archäologie.

Auch meine Kater Findus und Jukka-Pekka lieben dieses Buch... möglicherweise befand es sich einmal in einer Tüte mit Fisch?

Der erste Teil des Buches enthält die von Mats Wahl geschriebene, unterhaltsame Erzählung um die dramatischen Reisen der Wikingergeschwister Vigdis und Holmsten. Die Geschichte ist von Sven Nordqvist in seinem üblichen Stil großflächig illustriert. Seine Bilder sind ebenso stimmungsvoll wie detailreich und greifen in vielen Kleinigkeiten konkretes archäologisches Fachwissen. Vor allem aber entführen sie den Leser in eine beeindruckend authentisch wirkende Wikingerzeit und lassen die Atmosphäre im wikingerzeitlichen Langhaus ebenso greifbar werden wie auf stürmischer See.

Auf die Erzählung von Vigdis und Holmsten folgt ein von Björn Ambrosiani und Sven Nordqvist verfasster Sachtext, der kindgerecht aber ebenfalls unterhaltsam die Welt der Wikinger erklärt und nahezu alle wichtigen Aspekte in kurzen Absätzen aufgreift. Auch hier ist der Text wieder durch Sven Nordqvists Illustrationen ergänzt, in denen auch immer wieder witzige Details hervorstechen.

„Die Leute von Birka. So lebten die Wikinger“ ist ein wunderschönes Bilderbuch, mit dem Kinder und Erwachsene gleichermaßen in die Atmosphäre der Wikingerzeit eintauchen können und das durch die Kombination von Sachinformationen und Illustrationen Kinder spielerisch mit Geschichte und Archäologie vertraut macht.

Derzeit ist das Buch leider nicht mehr im Buchhandel erhältlich, es kann aber über Amazon bezogen werden.

Heute möchte ich einmal auf ein wissenschaftspolitisches Problem aufmerksam machen. Besonders die sogenannten ‚kleinen Fächer‘ sind an den deutschen Universitäten permanent unterfinanziert und von massiven Streichungen oder Schließungen bedroht. Nun sollen auch die beiden Skandinavistik-Institute an den Universitäten Tübingen und Göttingen geschlossen werden.

Die Skandinavistik – als Wissenschaft der skandinavischen Sprachen, der skandinavischen Literatur, Kultur und Geschichte – ist nicht nur eine wichtige Disziplin, die sich mit unseren Nachbarn in Nordeuropa beschäftigt, sondern sie ist für die Erforschung der Wikingerzeit unverzichtbar. Ohne die Skandinavistik würde uns in der Mittelalterarchäologie der Zugang zur altnordischen Literatur und zu den Runeninschriften fehlen, den beiden wichtigsten schriftlichen Quellen für die Wikingerzeit. Auch würde die zunehmende Schließung der Skandinavistik-Institute den Zugang zur fremdsprachigen Fachliteratur für junge Wissenschaftler erschweren.

Daher möchte ich an dieser Stelle auf die Petition gegen die Schließung der Skandinavistik-Institute an den Universitäten Tübingen und Göttingen hinweisen! Bitte unterschreibt die Petition, um uns und folgenden Generationen von Wissenschaftlern die Erforschung der Wikingerzeit zu ermöglichen.