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In der heutigen Gesellschaft wird gerade in der Vorweihnachtszeit oft Kritik an einer ausufernden, kapitalistischen und rein materialistischen Kultur des Schenkens laut. Das Austauschen von Geschenken ist jedoch schon immer wichtig gewesen, um soziale Relationen – Partnerschaften, familiäre Zusammengehörigkeit, Freundschaften aber auch diplomatische oder geschäftliche Beziehungen – zu stärken. In der Wikingerzeit hatte das gegenseitige Beschenken eine hohe soziale Bedeutung. Als Gast brachte man dem Gastgeber Geschenke mit, erhielt aber bei Abreise ebenfalls Geschenke. Der materielle – aber auch der ideelle – Wert dieser Geschenke sagte viel über die gegenseitige Wertschätzung der sich Beschenkenden und über ihre jeweilige soziale Stellung aus. Ähnlich wie heute versicherten sich so Freude der gegenseitigen Zuneigung, Geschäfts- oder Bündnispartner bestätigten ihr ernsthaftes und aufrichtiges Interesse an einer Partnerschaft und junge Schwiegersöhne erkauften sich das Wohlwollen oder zumindest die Akzeptanz ihrer (zukünftigen) Schwiegerfamilie.

Besonders wichtig waren Geschenke aber für den Machterhalt der Herrscher, seien es Könige, lokale Anführer oder nur der örtliche Großbauer. Durch besonders großzügige Gaben – Schwerter, Kleidung und besonders Armringe aus Gold und Silber – erkauften die Herrscher sich die Treue ihrer Gefolgsmänner. Diese sogenannten Gefolgschaftsgeschenke zeichnete den Empfänger zum einen vor den übrigen Kriegern als besonders loyal oder tapfer aus und verstärkten dessen Bindung zum Herrscher, spornten zum anderen aber die anderen Krieger durch die Aussicht auf eine solche materielle Belohnung als Gunstbezeugung wiederum zu tapferem Verhalten und Loyalität an. Gleichzeitig konnte die jeweilige Gefolgschaftsgabe auch durchaus von symbolischer Bedeutung sein und ein bestimmtes Verhalten vom Empfänger einfordern. So erhält der Protagonist Hallfreð in der altnordischen Hallfreðar saga vandræðaskálds von dem norwegischen König Óláf ein kunstvoll gearbeitetes Schwert als Lohn für ein Preisgedicht, das Hallfreð auf den König gedichtet hatte. Er bekommt das Schwert jedoch ohne Scheide überreicht, mit der Vorgabe, so vorsichtig damit umzugehen, dass er niemandem Schaden zufüge. Erst nach einigen Eskapaden am Königshof schenkt der König ihm demonstrativ die dazugehörige Scheide. Diese Gefolgschaftsgaben im Austausch für Loyalität waren für den Machterhalt der Herrscher in der skandinavischen Wikingerzeit so bedeutend, dass Freigiebigkeit als Tugend eines guten Königs galt; wer seine Gefolgschaft reich beschenkte, hatte viele loyale Krieger und war folglich mächtig. So finden sich in der Dichtkunst der Wikingerzeit viele, auf den ersten Blick überraschende Umschreibungen für ‚Herrscher‘ oder ‚König‘ wie z. B. hoddglǫtuðr, ‚der Schatz-Zerstörer‘ oder hringvarpaðar, ‚der Ring-Werfer‘, die darauf anspielen, dass der ideale Herrscher sein Gefolge üppig beschenkt.

In der Reenactment-/Living History-Szene und unter so manchen Wikinger-Fans hält sich seit Jahren hartnäckig die Aussage, dass Thorshämmer – kleine Amulette zumeist aus Edelmetall in Form eines Hammers, die als Symbol des Donnergottes Thor zu deuten sind – ausschließlich von Frauen getragen wurden. Diese Aussage wird selbst von ausgebildeten Archäologen regelmäßig vertreten. Da sie vor allem in politischen Kontexten auftritt, erscheint der Sinn hinter diesem Mantra eindeutig: Der rechten Szene soll ein beliebtes Symbol madig gemacht werden, indem man den so populären und als Symbol für Stärke, Männlichkeit und Kampfeskraft gedeuteten Thorshammer zu einem reinen Frauensymbol umdeutet. Nur weil eine Aussage aber einen durchaus hehren Zweck verfolgt – nämlich ein zentrales und auch von vielen unpolitischen Menschen getragenes Symbol den Rechten zu nehmen – wird sie dadurch aber noch lange nicht wahr. Und gerade wir Archäologen sollten in der jüngeren Vergangenheit gelernt haben, dass Geschichte niemals zur Legitimierung politischer Ziele herangezogen werden darf, mögen diese Ziele auch noch so gut sein.

Da die Diskussion um das Vorkommen von Thorshämmern von Kurzem wieder in meinem Umfeld aufflammte, möchte ich die tatsächliche Fundsituation einmal anhand der zentralen Literatur beleuchten.

Obgleich der Thorshammer sicherlich das bekannteste Symbol der Wikingerzeit ist, ist die Forschung dazu recht überschaubar. Die zentrale Publikation hat mein vor fünf Jahren verstorbener Doktorvater Prof. Dr. Jörn Staecker mit seiner Dissertation „Rex regum et dominus dominorum. Die wikingerzeitlichen Kreuz- und Kruzifixanhänger als Ausdruck der Mission in Altdänemark und Schweden“ 1999 vorgelegt (Jörn Staecker: Rex regum et dominus dominorum. Die wikingerzeitlichen Kreuz- und Kruzifixanhänger als Ausdruck der Mission in Altdänemark und Schweden. Lund Studies in Medieval Archaeology 23. Stockholm 1999). Die Arbeit erfasst 98 Thorshammeranhänger aus Dänemark und Süd- und Mittelschweden. Das Material aus der schwedischen Region Uppland – inklusive der Funde aus dem berühmten Handelsplatz von Birka im Mälaren – wurde 1970 in einer Abschlussarbeit durch Krister Ström ausgewertet, der auch die sogenannten „Thorshammerringe“ – eiserne Halsreife mit Anhängern in Form von Hämmern – mit einbezogen hat (Krister Ström: Om fynden av torshammarringar. Lic. avhandling, Stockholms Universitet. Stockholm 1970). Eine Zusammenfassung seiner Auswertung mit einem Schwerpunkt auf Birka wurde in Band 2 der Birka Studies veröffentlicht (Krister Ström: Thorshammerringe und andere Gegenstände des heidnischen Kults, in: Greta Arwidsson (Hrsg.): Birka II:1. Systematische Analysen der Gräberfunde. Stockholm 1984, S. 127–140.). Daneben gibt es eine Reihe von kürzeren Aufsätzen zu Thorshämmern und Thorshammerringen (die unten stehende Liste ist sicherlich nicht vollständig, umfasst aber die in meinen Augen zu der hier besprochenen Frage zentrale Literatur):

  • Gesine Schwarz-Mackensen: Thorshämmer aus Haithabu – Zur Deutung wikingerzeitlicher Symbole, in: Kurt Schietzel (Hrsg.): Das archäologische Fundmaterial III. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu, Bd. 12. Neumünster 1978, S. 85–93.
  • Galina L. Novikova: Iron neck-rings with Thor's hammers found in Eastern Europe. Fornvännen 87. 1992, S. 73–89.
  • Jörn Staecker: Thor’s Hammer – Symbol of Christianization and Political Delusion. Lund Archaeological Review 5. 1999, S. 89–104.
  • Egon Wamers: Hammer und Kreuz. Typologische Aspekte einer nordeuropäischen Amulettsitte aus der Zeit des Glaubenswechsels, in: Michael Müller-Wille (Hrsg.): Rom und Byzanz im Norden. Mission und Glaubenswechsel im Ostseeraum während des 8.–14. Jahrhunderts. Band 1. Mainz 1999, S. 83–107.
  • Sæbjørg Walaker Nordeide: Thor’s hammer in Norway. A symbol of reaction against the Christian cross?, in: Anders Andrén, Kristina Jennbert & Catharina Raudvere (Hrsg.): Old Norse religion in long-term perspectives. Origins, changes, and interactions. Vägar till Midgård 8. Lund 2006, S. 218–223.
  • Jasmin Lyman: Thorshammerrings – a new interpretation. CD-uppsats i arkeologi, Höskolan på Gotland. Visby 2007.

Etwa 27 % der 98 bis zum Jahr 1999 von Jörn Staecker für Dänemark und Süd- sowie Mittelschweden aufgenommenen Thorshämmer stammen aus Gräbern, der Großteil hingegen aus Depot- oder Siedlungsfunden. Sæbjørg Walaker Nordeide listet 12 Funde aus Norwegen auf, von denen vier aus Gräbern stammen. Von den sogenannten ‚Thorshammerringen‘ sind über 450 Exemplare bekannt, von denen über 90 % aus Gräbern stammen. Das Phänomen konzentriert sich deutlich auf die Region Uppland, einzelne Thorshammerringe sind aber auch von Gotland sowie aus Russland bekannt.

Die Verteilung der Thorshämmer als einfache Anhänger in den Gräbern ergibt ein interessantes Bild. Von den 15 Körpergräbern mit Thorshämmern, die Jörn Staecker für Dänemark und Süd-/Mittelschweden auflistet, handelt es sich bei 14 Gräbern (93 %) um Frauengräber. Unter den sieben Brandgräbern mit Thorshämmern sind drei Männerbestattungen, zwei Frauenbestattungen und zwei Bestattungen können nicht sicher einem Geschlecht zugewiesen werden. Der Anteil von Frauenbestattungen liegt hier bei 29 %. Bei den vier Gräbern mit Thorshämmern aus Norwegen, die Sæbjørg Walaker Nordeide auflistet, handelt es sich um zwei Männer- und zwei Frauenbestattungen, das Geschlechterverhältnis ist also ausgeglichen.

Auf ähnliche Relationen kommen auch Krister Ström und Jasmin Lyman bei ihren Auswertungen der Verteilung von Thorshammerringen in den Gräbern Upplands. Basierend auf dem bis 1970 ausgewerteten Material gibt Krister Ström eine Verteilung von 60 % in Frauengräbern zu 40 % in Männergräbern an. Jasmin Lyman geht basierend auf einer kritischen Reevaluation von Krister Ströms Katalog und den seit den 1970ern angetroffenen Exemplaren von einer annähernd ausgeglichenen Verteilung aus.

Allerdings ist hier nochmals etwas archäologische Quellenkritik notwendig. Frauenbestattungen sind – zumindest in der Wikingerzeit – zumeist einfacher zu identifizieren als Männerbestattungen, da Frauen oftmals mehr metallene Trachtelemente wie Fibeln oder anderer Schmuck mitgegeben wurde. Da besonders bei Altgrabungen, teilweise aber auch noch heute, die erhaltenen Knochen nicht immer von Anthropologen untersucht werden konnten, bestimmte man das Geschlecht der Toten zumeist ausgehend von dem Fundmaterial (die sogenannte ‚archäologische Geschlechtsbestimmung‘). Findet man in einem Grab aber keine aussagekräftigen Funde vor, die eine solche Geschlechtszuweisung wahrscheinlich machen, gehen diese Gräber als ‚unbestimmbares Geschlecht‘ in die Auswertung ein, auch wenn anzunehmen ist, dass es sich oftmals um Männergräber handelt. Dieser Umstand würde auch den Anteil von Männergräbern mit Thorshämmern und Thorshammerringen erhöhen.

Ein Fakt ist aber noch bedeutender: Ein Grab ist ein Grab ist ein Grab… das bedeutet nichts anderes, als dass Gräber nur bedingt Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Menschen geben. Wir können ausgehend von den oben diskutierten Befunden nur schlussfolgern, dass die Sitte, Thorshämmer und Thorshammerringe in Gräbern zu deponieren, offensichtlich nicht auf Frauengräber beschränkt war. Ob Thorshämmer und Thorshammerringe aber zu Lebzeiten nur von Frauen, nur von Männern, von beiden Geschlechtern oder vielleicht sogar von niemandem getragen wurden, können wir nicht mit letzter Sicherheit entscheiden.

Der archäologische Befund zur Verteilung von Thorshämmern und Thorshammerringen in Gräbern ist also zwar nicht eindeutig, aber doch deutlich anders als in der eingangs genannten und so oft wiederholten Aussage. Thorshämmer waren keinesfalls ausschließlich ein rein weibliches Symbol.

Gerade in den Herbst- und Wintermonaten können die Finanzen leicht in Unordnung geraten: Auf der einen Seite drohen hohe Heizkosten und auf der anderen Seite gehört es gerade in den kalten und dunklen Monaten ja irgendwie auch zur Vorweihnachtszeit dazu sich, das ein oder andere zu gönnen. Und dann sind da ja noch die Weihnachtsgeschenke, die es zu kaufen gilt. Da ist es gut, wenn man im Rest des Jahres auch einmal etwas Geld zurücklegen konnte.

Auch in der Wikingerzeit galt „Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not“. Davon zeugen die weit über 1.000 bislang aus der skandinavischen Wikingerzeit bekannten sogenannten „Edelmetallhorte“. Darunter versteht man Schätze, zumeist aus Silbermünzen, aber auch aus Silberschmuck und Silberbarren, die üblicherweise in der Nähe der Höfe vergraben wurden. Der bislang größte bekannte Hort, der Silberschatz von Spillings auf Gotland, enthielt fast 67 Kilo Silber, darunter über 18.000 zumeist arabische Silbermünzen und hunderte von Armreifen aus Silber.

Die Gründe, warum so viele dieser Silberschätze von ihren Besitzern nicht mehr geborgen wurden, sind in der Forschung umstritten. Eine Theorie besagt, dass man gewissermaßen für das Leben im Jenseits gespart habe; an einer Stelle in der altnordischen Literatur heißt es, die Menschen der Wikingerzeit würden glauben, dass sie das im Jenseits besitzen würden, was sie zu Lebzeiten vergruben. Einer anderen Theorie zufolge wurde Land dadurch in Besitz genommen, dass der Familienschatz darin vergraben wurde. Vermutlich waren aber viele dieser Horte nichts anderes als der wikingerzeitliche Sparstrumpf, in dem man für Notzeiten seine Ersparnisse sicher vor fremdem Zugriff verbarg und die aus unterschiedlichsten Gründen von ihren ursprünglichen Besitzern nicht mehr geborgen werden konnten.

Die Wikinger haben in unserer heutigen Zeit ein Eigenleben entwickelt und Einzug in die Popkultur gehalten. Auch nach 1000 Jahren hat die Wikingerzeit für uns heute noch immer eine enorme Anziehungskraft und scheint aktueller zu sein denn je. Der Frage, worin diese Faszination an der Wikingerzeit liegt, hat sich im Sommer der Autor Peter Schranz gewidmet und eine Reihe von Interviews mit Fans und Fachleuten geführt. Herausgekommen ist ein sehr interessanter Beitrag, der heute Abend im NDR zu hören ist und auf der Website des NDR >hier< gehört werden kann.

Das Thema ‚Heizen‘ beschäftigt in diesem Jahr viele Menschen, vor allem bei diesen winterlichen Temperaturen. Zusammen mit einem vollen Bauch ist ein warmer Wohnraum sicherlich eines der zentralen Grundbedürfnisse jedes Menschen. Wie aber wurde in der Wikingerzeit und vor allem hier in Haithabu geheizt?

Die klassischen Langhäuser der Wikingerzeit unterschieden sich nicht großartig von den Gebäuden, die bereits seit der Jungsteinzeit üblich waren. Zumeist waren es dreischiffige Hallengebäude, d. h. Häuser mit zwei Reihen von Innenpfosten in der Mitte des Gebäudes, die das Dach trugen. Diese Langhäuser waren bis zu 30 Meter lang und bis zu 8–9 Meter breit, die längste bislang bekannte wikingerzeitliche Halle, gelegen bei Borg auf den Lofoten in Nordnorwegen, maß sogar über 80 Meter in der Länge. Die Wände bestanden aus Holzbohlen, das Dach war mit Reet bzw. Stroh oder mit Torfsoden gedeckt, oder bei den großen Hallen der Herrscher auch mit hölzernen Dachschindeln. In der Mitte der Halle befand sich die zentrale Feuerstelle, die zum Kochen verwendet wurde und auch das Haus heizte. Bei großen Hallen konnte diese Feuerstelle mehrere Meter lang sein. Bei Minusgraden musste das Herdfeuer tagsüber durchgängig befeuert werden, um eine konstante Innentemperatur über dem Gefrierpunkt zu erreichen, wie experimentalarchäologische Versuche gezeigt haben. Dafür wurden enorme Mengen an Feuerholz benötigt. Gleichzeitig musste der Rauch abziehen können, was eine ausreichende Belüftung erforderte und damit wiederum einen Wärmeverlust bedeutete. Als zusätzliche Wärmequelle war es bereits Jahrhunderte vor der Wikingerzeit üblich geworden, das Vieh im selben Gebäude, sogenannte ‚Wohnstallhäuser‘, aufzustallen.

In Haithabu lässt sich anstelle der typischen hölzernen Langhäuser der ländlichen Gehöfte bereits eine besondere frühstädtische Architektur fassen. Die Wände der meisten Häuser zwischen den tragenden Pfosten bestanden nicht mehr aus Holzbohlen, sondern aus lehmverstrichenem Flechtwerk. Die Lehmwände hatten einen klimatischen Effekt, im Sommer blieben sie angenehm kühl, während sie im Winter die Wärme speicherten. Gleichzeitig konnte man durch diese Bauweise Mengen an Bauholz sparen, das für das Heizen benötigt wurde. Denn die Versorgung der Einwohner von Haithabu wird eine enorme logistische Herausforderung gewesen sein: der altnordische Name Heiðabýr bedeutet nichts Anderes als Siedlung (býr) auf der Heide (heiða), was nahelegt, dass Holz aus der Umgebung herangeschafft werden musste.

Anfang dieser Woche ist mit 'Vikings. Die wahre Geschichte' eine neue, sechsteilige Doku-Reihe zur Wikingerzeit bei ZDFinfo erschienen, die nun auch über die Mediathek des ZDF abrufbar ist. Die Dokumentation zeichnet anschaulich die chronologische Entwicklung der Wikingerzeit, vor allem aber die Ausbreitung der Wikinger, nach. Zu Wort kommen eine ganze Reihe renommierter skandinavischer Fachkollegen und in den Spielszenen kann man viele bekannte Gesichter aus der nordeuropäischen Reenactmentszene erkennen. Ich hatte erneut das Vergnügen, als Fachberater für die deutsche Übersetzung der gesamten Reihe mitwirken zu dürfen und kann die Dokus für die kommenden kalten Winterabende wärmstens empfehlen.

Mit einer leichten, coronabedingen Verspätung ist zu Ostern endlich meine Monographie zu den spätwikingerzeitlichen Bestattungen auf dem gotländischen Gräberfeld von Havor veröffentlicht worden. Die Arbeit ist das Endergebnis meiner vierjährigen Forschung im Rahmen des SFB 1070 an der Universität Tübingen von 2017–2021 und in mehrfacher Hinsicht für mich ein sehr emotionaler Abschluss. Ursprünglich war geplant, die Arbeit gemeinsam mit meinem Doktorvater und späterem Chef Professor Jörn Staecker (27.04.1961–15.12.2018) zu schreiben, als Ergebnis seiner langjährigen Beschäftigung mit der gotländischen Wikingerzeit. Aufgrund seines tragischen frühzeitigen Todes konnte dieser Plan nicht mehr umgesetzt werden. Darüber hinaus ist diese Publikation voraussichtlich mein letzter umfangreicherer Beitrag zur Erforschung der gotländischen Wikingerzeit – ein Themenfeld, das mich seit Beginn meiner Dissertation vor fast 12 Jahren auf eine einzigartige Art und Weise begeistert hat – und auch voraussichtlich vorerst meine letzte Monographie.

Inhaltlich untersucht die Arbeit die spätwikingerzeitlichen Bestattungen auf dem Gräberfeld von Havor, Hablingbo sn, auf Gotland und im Besonderen die Art und Weise, wie in den Bestattungen von Havor die Erinnerungen an und Vorstellungen von Vergangenheit auf der einen und kulturelle Veränderungen auf der anderen Seite zur Konstruktion von spezifischen Identitäten instrumentalisiert wurden. Dieses Vorgehen, besonders durch den Aufgriff älterer Bestattungstraditionen und die Nachnutzung älterer Grabanlagen, erlaubt Rückschlüsse auf die Wahrnehmung einer mythischen Vergangenheit in der Wikingerzeit und auf die diskursive Ebene von Erinnerungen und Traditionen als soziale und identitätsstiftende Konstrukte. Die ersten Kapitel stellen eine reine Materialauswertung und -betrachtung des Gräberfeldes und seines Siedlungsumfeldes als Ganzes, der wikingerzeitlichen Bestattungen im Speziellen sowie der gesamtgotländischen Entwicklung von der frühen Eisenzeit bis in die späte Wikingerzeit dar. Darauf folgt eine ausführliche Theoriediskussion dazu, was Bestattungen und Gräber – über die reine "Entsorgung" eines menschlichen Verstorbenen – eigentlich sind und wie in Havor die Instrumentalisierung (oder Konstruktion?) der eigenen Vergangenheit fassbar wird.

Die Monographie kann in wenigen Monaten auch als Printversion bei der Universität Tübingen bestellt werden. Seit letzter Woche ist sie als PDF frei über den Open Acess-Bereich der Universitätsbibliothek abrufbar.

Bereits 1886 wurde bei der Ausgrabung eines großen Grabhügels, des sogenannten ‚Storhaug‘ von Torvastad, auf Karmøy nahe von Avaldsnes die Schiffsbestattung eines bedeutenden lokalen Fürsten entdeckt. Der Verstorbene war vermutlich im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts – also in der frühesten Wikingerzeit – mit Waffen und kostbaren Grabbeigaben auf einem 20 Meter langen Schiff in dem Grabhügel beigesetzt worden. Bei der Nachuntersuchung das Grabhügels konnten nun das Achterende des Schiffes rekonstruiert werden. Das Spektakuläre an den neuen Ergebnissen ist, dass es sich bei dem Schiff vermutlich bereits um ein Segelschiff gehandelt hat. Damit wäre das Schiff aus dem Storhaug von Torvastad auf Kamøy das älteste bislang bekannte Segelschiff aus dem Norden.

Bei dem bislang ältesten bekannten Segelschiff der Wikingerzeit handelt es sich um das berühmte Schiff aus dem Grabhügel von Oseberg am Oslofjord, das dendrochronologisch auf die Zeit um 820 n. Chr. datiert werden kann. Es gibt noch zwei ältere Schiffe – das Schiff aus Kvalsund, Westnorwegen, datiert auf etwa das Jahr 700 n. Chr. und das Schiff Salme 2 von Saaremaa, Estland, datiert auf etwa 750 n. Chr. – die bereits einen Kiel aufweisen. Ein Kiel ist die schiffsbautechnische Voraussetzung, um einen Mastbaum aufzustellen. Bei den beiden älteren Schiffen ließen sich aber sowohl Mast wie auch Segel bislang noch nicht sicher nachweisen. Dass Segelschiffe in Skandinavien aber schon vor der Wikingerzeit bekannt gewesen sein müssen, zeigen die Abbildungen von Schiffen unter vollen Segeln auf einigen wenigen gotländischen Bildsteinen des 6. und 7. Jahrhunderts.

Mit den neuen Untersuchungen an dem Schiffsgrab von Torvastad auf Karmøy kommen wir also den frühesten Segelschiffen Nordeuropas der Vendel- und frühen Wikingerzeit wieder etwas näher. Daneben konnte auf Karmøy neben dem Schiffsgrab im Storhaug und einem zweiten, schon länger bekannten Schiffsgrab in einem als ‚Grønhaug‘ bezeichneten Grabhügel noch ein drittes Schiffsgrab entdeckt werden. Der etwa 40–50 Meter durchmessende Hügel war zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon einmal untersucht worden. Damals stieß man jedoch nur auf ein paar Einzelfunde. Die Konzentration von frühwikingerzeitlichen Schiffsgräbern unter großen Grabhügeln auf Karmøy lässt vermuten, dass das nahegelegene Avaldsnes bereits im späten 8. und frühen 9. Jahrhundert ein bedeutender Häuptlingssitz oder Königshof war.

Bei der Netlix-Woche ist ein Interview mit mir zu 'Vikings' und 'Vikings: Valhalla', zu historisch korrekten Wikingerdarstellungen und dem gegenwärtigen Sexappeal der Nordmänner, erschienen. Ich bin bekanntermaßen kein großer Freund dieser beiden Serien, da sie ein wenig korrektes Wikingerbild vermitteln. Aber ich sehe in meiner Arbeit im Museum tagtäglich, wie groß das Bedürfnis der Menschen heutzutage nach diesem 'Sehnsuchtsort Wikingerzeit' ist, dass wir offensichtlich als moderne Gesellschaft diese Vorstellung einer archaisch-wilden Vergangenheit brauchen. Und natürlich freue ich mich über das hohe Interesse an der Wikingerzeit. Daher kann ich dem gegenwärtigen Wikinger-Hype auch durchaus viel Positives abgewinnen und freue mich, mit Netflix ein offenes und kritisch-faires Gespräch über die Trend-Wikinger der Moderne und die 'echten' Wikinger der Vergangenheit geführt zu haben.

Seit einigen Tagen begeistert der spektakuläre Fund eines Runensteines in Norwegen Archäologen und Runologen wie auch Geschichtsinteressierte gleichermaßen. Bereits im Herbst 2021 wurde die kaum mehr als 30x30 cm messende Sandsteinplatte bei Straßenbauarbeiten in der südnorwegischen Provinz Viken in einem Brandgrab gefunden. Auf dem „Svingerudsten“ getauften Stein sind mehrere Zeichenfolgen erkennbar, von denen einige als Runeninschriften im älteren Futhark identifiziert werden können, der Runenreihe, die ab den ersten Jahrhunderten nach Christus bis in die frühe Wikingerzeit üblich war. Darunter sticht besonders eine kurze Inschrift auf der mutmaßlichen Vorderseite des Steines hervor, die zweifelsfrei als „IDIBERUG“ entziffert werden kann. Möglicherweise handelt es sich dabei um einen Personennamen. Einige der übrigen Zeichenfolgen scheinen der Runologin Kristel Zilmer nach dagegen keine konkrete Bedeutung zu haben. Bei einigen der Gitter- und Zickzackmuster könnte es sich möglicherweise um Schreibversuche oder die Nachahmung von Runenzeichen handeln.

Spektakulär wird der Fund des „Svingerudsten“ jedoch durch die Datierung des Grabes, in dem er gefunden wurde. Radiokarbondatierungen an Knochenresten aus dem Grab zufolge wurde die Bestattung im 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus angelegt. Eine Datierung in die frühe Phase der römischen Eisenzeit legen auch die wenigen erhaltenen Beigaben nahe. Damit handelt es sich bei dem „Svingerudsten“ um den ältesten bekannten Runenstein der Welt. Die bislang ältesten bekannten Runensteine – z. B. die Runensteine von Hogganvik, Tune oder Einang – datieren in das späte 3. oder 4. Jahrhundert nach Christus. Zugleich könnte es sich bei der Inschrift auf dem „Svingerudsten“ auch um eine der ältesten Runeninschriften überhaupt handeln. Der bislang sicher datierte früheste Beleg für Runen ist die Namensinschrift „HARJA“ auf dem Kamm von Vimose aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhundert nach Christus. Etwas älter ist die Fibel von Meldorf aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, allerdings ist bislang noch unklar, ob es sich bei der Zeichenfolge auf der Fibel tatsächlich um Runen handelt.

Möglicherweise liegt damit nun mit dem „Svingerudsten“ der älteste Nachweis für die Nutzung von Runen vor. Mehr zu diesem spektakulären Fund gibt es >hier<.