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Der Krieger und die Katze – Katzen in der skandinavischen Wikingerzeit

Die Rolle der Katze in der Gesellschaft der Wikingerzeit ist bislang kaum untersucht und wird, maßgeblich geprägt von späteren literarischen und mythologischen Quellen, oftmals mit Kult und Magie in Verbindung gebracht. Am deutlichsten wird dies sichtbar an der altnordischen Liebesgöttin Freya mit ihrem von Katzen gezogenen Wagen. Die zunehmende Anzahl archäologischer Funde von Katzenknochen deutet jedoch auf ein gänzlich anderes, für uns moderne Menschen jedoch durchaus vertrautes Bild der Katze als hoch geschätztes Haustier, das mitunter sogar Krieger in das Jenseits begleiten sollte.

Als ältestes Haustier der Menschheitsgeschichte, als Beschützer und Jagdgefährte, ist der Hund als treuester Begleiter des Menschen auch in der skandinavischen Wikingerzeit zwischen 800–1100 n. Chr. allgegenwärtig. Das derzeit beliebteste Haustier der Deutschen, die Katze, war im Norden zwar erst wenige Jahrhunderte zuvor heimisch geworden, aber schon bei den Wikingern nimmt die aus Vorderasien abstammende Samtpfote eine herausragende Stellung ein.

Katzen erschließen sich die Welt

Die Domestikationsgeschichte der Hauskatzen in Europa beginnt am Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit im Mittelmeerraum, die frühesten Funde stammen aus Zypern, Jericho in Vorderasien und Ägypten. Spätestens mit dem Übergang zur Eisenzeit wurden die von den vorderasiatischen Wild- oder Falbkatzen abstammenden Hauskatzen zu beliebten Haustieren in den attischen Kolonien und verbreiteten sich im Zuge der Ausdehnung des Römischen Reiches in den ersten Jahrhunderten nach Christus bis nach Mittel- und Nordeuropa. Entgegen der populären Vorstellung hatten diese Tiere jedoch nur wenig mit den europäischen Wildkatzen gemein, die in der Eisenzeit in Skandinavien bereits ausgestorben waren, sondern ähnelten mit ihrer getigerten Fellzeichnung am ehesten zierlichen Exemplaren der heutigen Katzenrasse Europäisch Kurzhaar.

Findus, Kater des Verfassers, im Alter von wenigen Wochen. Die Rasse Europäisch Kurzhaar ähnelt von der Fellzeichnung her den frühen Hauskatzen der Wikingerzeit.
© Andreas Ströhle 2013.

Frühe Katzen in Skandinavien

In Skandinavien treten die ersten Nachweise von Hauskatzen in der späten römischen Kaiserzeit ab dem 2./3. Jh. n. Chr. auf und spätestens ab dem 5./6. Jh. weisen Katzenknochen in Siedlungen sowie als Grabbeigaben in Bestattungen darauf hin, dass die Hauskatze im Norden heimisch geworden war. Bereits bei vielen frühen Funden von Katzen in Skandinavien zeigt sich eine besondere Wertschätzung dieses exotischen und eleganten Tieres. In zwei bedeutenden Opfermooren in Schweden wurden Katzenknochen gefunden und viele Funde stammen aus reich ausgestatteten Gräbern zumeist offensichtlich hochrangiger Männer.

Freyas Katzen und die altnordische Mythologie

In der altnordischen Sagaliteratur und den mythologischen Quellen wie der berühmten Edda, die zwar erst ab dem 12./13. Jh. verfasst wurden, aber oftmals als Quellen für die Wikingerzeit gelesen werden, treten Katzen dagegen überraschend selten in Erscheinung. In einer Handvoll von Szenen nehme dämonische Unholde die Gestalt von Katzen an, gegen welche die Protagonisten der Sagas zu kämpfen haben, bspw. der Donnergott Thor, der in einem Wettkampf eine Katze vom Boden hochheben soll, die sich später als die gewaltige Midgardschlange entpuppt. Besonders prägend für die in Forschung und populärer Rezeption vorherrschende Sichtweise auf Katzen in der Wikingerzeit sind jedoch zwei Passagen.

Das zentrale Bild von Katzen in der altnordischen Mythologie findet sich in der Edda des berühmten isländischen Skalden Snorri Sturluson, demzufolge die Liebesgöttin Freya in einem von zwei Katzen gezogenen Wagen fährt. Eine zweite, oftmals angeführte Szene stammt aus einer Isländersaga, die von der Besiedlung Grönlands und der Entdeckung des nordamerikanischen Kontinents um das Jahr 1000 herum berichtet. Darin wird eine Seherin beschrieben, deren Kleidung teilweise mit Katzenfell verbrämt ist. Da Katzenfell als Trachtelement an keiner weiteren Stelle in der Sagaliteratur erwähnt wird, gilt diese Passage als deutlicher Hinweis auf eine besondere Bedeutung von Katzen für wikingerzeitliche Magie und kultische Handlungen. Zu dieser Argumentation passt vordergründig auch, dass es laut Edda die Göttin Freya mit ihrem Katzenwagen gewesen sein soll, welche den altnordischen Götter die Zauberkunst brachte.

Ausgehend von diesen wenigen Erwähnungen von Katzen in der altnordischen Literatur wird den Hauskatzen in der Wikingerzeit eine starke kultische oder religiöse Komponente zugeschrieben, die sie als Begleiter von (meist) weiblichen ‚ritual specialists‘ – Seherinnen, Priesterinnen oder Schamanin – mit der übernatürlichen Sphäre in Verbindung bringt.

Christlicher Einfluss und antike Topoi

Betrachtet man dieses literarische Material jedoch mit der notwendigen Quellenkritik, stellt sich zwangsläufig die Frage, in wie weit die frühestens im 13. Jh. und damit bereits in einem christlichen Milieu verfasste Literatur mit diesem Katzenbild tatsächlich autochthone heidnische Vorstellungen der Wikingerzeit widerspiegelt. Die Katzen in der altnordischen Sagaliteratur treten nicht als natürlicher Teil der häuslichen Fauna auf, sondern fast ausschließlich als übernatürliche Elemente, obwohl sie spätestens ab der frühen Wikingerzeit als Haustier weit verbreitet waren. Zudem weisen die Assoziationen von Katzen mit (schwarzer) Magie und (weiblicher) Hexerei deutliche Parallelen zu christlichem mittelalterlichem Aberglauben auf, demzufolge Katzen ab dem frühen 13. Jh., spätestens jedoch mit den Prozessen gegen den Templerorden Anfang des 14. Jh., als Tiere des Teufels galten. Daher ist davon auszugehen, dass die Darstellung von Katzen als übernatürliche Wesen und Begleiter von zauberkundigen Frauen in Sagas und Edda eine christliche Interpolation ist, die keine Aussagekraft zu Vorstellungen der Wikingerzeit hat.

Ähnliches gilt für die Rolle der Katzen als Begleiter der altnordischen Liebesgöttin Freya, welches als wikingerzeitlicher Beleg für eine auch heute noch als besonders eng geltende Bindung von Katzen an das weibliche Geschlecht gewertet wird. Viel häufiger als mit dem nur an zwei Stellen erwähnte Katzenwagen wird Freya in der altnordischen Mythologie und Skaldik jedoch mit einer (Wild)Sau in Verbindung gebracht, was deutlich mehr an, auch in anderen Quellen fassbare, traditionelle Vorstellungen von Fruchtbarkeit anknüpft. Zudem scheint es sich bei dem von (Groß-)Katzen gezogenen Wagen um einen klassischen Topos der antiken Mythologie zu handeln, der mit einer Reihe von Fruchtbarkeits- oder Muttergottheiten wie Kybele oder Artemis verknüpft ist. Snorri Sturluson, der Verfasser der Prosa-Edda, scheint damit ein übliches Attribut antiker Gottheiten adoptiert zu haben, möglicherweise um Freyas Position und Funktion im altnordischen Pantheon zu illustrieren.

Die in der altnordischen Sagaliteratur und Mythologie fassbare Rolle der Katzen als mit einer weiblichen Sphäre von Kult und Magie assoziierten Tiere scheint demnach deutlich von mittelalterlichen christlichen Sichtweisen bzw. von antiken Topoi beeinflusst zu sein und weniger wikingerzeitliche Vorstellungen widerzuspiegeln.

Die archäologischen Befunde

Eine neu durchgeführte Auswertung der archäologischen Funde von Katzenknochen aus Siedlungen und Bestattungen der skandinavischen Wikingerzeit bestätigt diese kritische Sichtweise auf die literarischen Quellen.

Katzenschädel aus dem spätwikingerzeitlichen Odense, Dänemark.
© Odense Bys Museer 2018.

Spätestens mit dem Ende der Eisenzeit waren Katzen im Norden ebenso zu einem üblichen Element der Haustierfauna geworden wie im restlichen Europa. In den meisten Siedlungen und frühen Städten lassen sich Populationen von halb-wild streunenden Katzen fassen. Deren noch weitestgehend unveränderten Gebisse deuten darauf hin, dass sie nicht mit Küchenabfällen gefüttert wurden, wie es später in den mittelalterlichen Städten nachweisbar ist, sondern sich artgerecht von Kleinnagern ernährten. Diese Verhaltensweise der frühen Katzenpopulationen, die als erfolgreiche Jäger die spätestens ab der frühen Wikingerzeit im Norden auftretenden Nahrungsmittelschädlinge wie Hausmaus und Hausratte dezimierten, kann sicherlich als ein Grund für die rasante Verbreitung und die enorme Popularität der Hauskatzen angenommen werden.

Daneben zeigen Funde von Katzenknochen aus vielen frühen Städten der späteren Wikingerzeit wie bspw. Haithabu bei Schleswig in Norddeutschland oder Sigtuna in Schweden, dass auch Katzenpelz als Besatz und Futter für warme Kleidung besonders geschätzt wurde. Viele Knochen – besonders die Schädel – weisen Schnittspuren auf, die charakteristisch für das sogenannte ‚Abpelzen‘, das Abziehen des Felles, sind. Der Großteil der Knochen mit Schnittspuren stammt von jungen Tieren im Alter von etwa 12 Monaten, die zu diesem Zeitpunkt bereits voll ausgewachsen sind, deren Fell aber noch nicht von Krankheiten, Parasiten oder Mangelernährung verunstaltet war. Zudem werden die meisten Katzen im Frühjahr geboren, so dass sie am Ende ihres ersten Lebensjahres das dichtere Winterfell tragen. Ein deutlicher Beleg für die gezielte Schlachtung und Abpelzung jüngerer Katzen für den Pelzhandel oder die Verarbeitung von Katzenfell in der Kleidung ist eine Grube aus der spätwikingerzeitlichen Stadt Odense in Dänemark. Darin fanden sich – neben den Knochen einiger anderer Tiere – die Reste von 68 Katzen, deren Knochen durchgängig Schnittspuren von Abpelzung aufwiesen. Schnittspuren, die auf ein Entfleischen der Knochen hindeuten, lassen sich dagegen nur vereinzelt nachweisen. Katzenfleisch scheint demnach – ähnlich wie Hundefleisch – nur in Notsituationen verzehrt worden zu sein.

Katzenschädel aus der Sieldung von Haithabu mit charakteristischen Schnittspuren, die vom Abziehen ('Abpelzen') des Felles stammen.
© Johansson, F. & Hüster, H. 1987, Untersuchungen an Skelettresten von Katzen aus Haithabu, Neumünster: Wachholtz, S. 41.

Begleiter ins Jenseits

Der Großteil der bisher bekannten Funde von Katzen aus der Wikingerzeit stammt jedoch aus Gräbern, in welche die Tiere als Grabbeigabe oder als Begleiter ins Jenseits gelegt wurden. Vereinzelte Bestattungen mit Katzen sind in Skandinavien bereits seit der römischen Eisenzeit bekannt, ab der Vendelzeit – der Epoche vom 6. bis zum Ende des 7. Jh. – und besonders dann ab der Wikingerzeit werden Katzen eine üblichere Grabbeigabe. Bei einer genaueren Betrachtung dieser Gräber aus Vendel- und Wikingerzeit fällt, entgegen der aus modernem Blickwinkel anzunehmenden engen Relation von Katzen mit Frauen auf, dass die meisten dieser Gräber mit Katzen die Bestattungen von Männern sind. Erst gegen Ende der Wikingerzeit lässt sich eine Verschiebung hin zu einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung fassen, zudem kommen Katzen auch zunehmend in Kindergräbern vor. Die meisten Bestattungen mit Katzen sind überdurchschnittlich reich ausgestattet. Eindrucksvolle Beispiele dafür sind eine Reihe von sogenannten ‚Häuptlingsgräbern‘ in der schwedischen Provinz Uppland aus der frühen Wikingerzeit, in denen offensichtlich höchst einflussreiche Männer mit Waffen, reichen Beigaben und einer großen Anzahl von Tieren unterschiedlicher Spezies – Pferden, Hunden, Greifvögeln und mehrfach auch Katzen – beigesetz worden waren. Ähnliches zeigt sich auch an dem berühmten Handelsplatz von Birka, nahe dem heutigen Stockholm in Schweden. In einigen Gräbern – darunter nur eine Frauenbestattung – ließen sich Katzenknochen nachweisen. In drei der Gräber waren dagegen Männer beigesetzt worden, die durch ihre Beigaben – Waffen, Reitzubehör, Spielsteine – als Angehörige einer sozial hochstehenden Kriegerkaste inszeniert wurden.

Zeichnung des Kammergrabes Bj 886 aus Birka; Bestattung eines Mannes mit voller Bewaffnung und Katzenknochen.
© Arbman, H. 1940/43, Birka I. Die Gräber. Text, Stockholm: Almqvist & Wiksell, S. 345.

Nutztier und Gefährte

Anders als es die altnordische Literatur und Mythologie darstellt, waren Hauskatzen in der Wikingerzeit demnach keinesfalls ausschließlich die Begleiter von Seherinnen, Hexen oder anderen, mit der Sphäre des Übernatürlichen verknüpften Frauen, wie es ausgehend von vereinzelten mythologischen Überlieferungen zur Liebesgöttin Freya oftmals in Forschung und Medien postuliert wird. Die literarischen Überlieferungen zu Katzen scheinen demnach stark von späteren christlichen Vorstellungen beeinflusst worden zu sein. Stattdessen waren Katzen in der Wikingerzeit nützliche Haustiere, die man als Schädlingsbekämpfer hielt und deren Fell verhandelt und für Kleidung verwendet wurde. Aber wie die Funde von Katzen in Gräbern zeigen, konnten sich auch die Wikinger nicht dem Charme der Stubentiger entziehen und bestatteten Frauen, Kinder aber auch gestandene Männer mit ihren Katzen als Wegbegleiter ins Jenseits.

Zuerst veröffentlicht in der 'Archäologie in Deutschland' 02/19, S. 46–49.