In der heutigen Gesellschaft wird gerade in der Vorweihnachtszeit oft Kritik an einer ausufernden, kapitalistischen und rein materialistischen Kultur des Schenkens laut. Das Austauschen von Geschenken ist jedoch schon immer wichtig gewesen, um soziale Relationen – Partnerschaften, familiäre Zusammengehörigkeit, Freundschaften aber auch diplomatische oder geschäftliche Beziehungen – zu stärken. In der Wikingerzeit hatte das gegenseitige Beschenken eine hohe soziale Bedeutung. Als Gast brachte man dem Gastgeber Geschenke mit, erhielt aber bei Abreise ebenfalls Geschenke. Der materielle – aber auch der ideelle – Wert dieser Geschenke sagte viel über die gegenseitige Wertschätzung der sich Beschenkenden und über ihre jeweilige soziale Stellung aus. Ähnlich wie heute versicherten sich so Freude der gegenseitigen Zuneigung, Geschäfts- oder Bündnispartner bestätigten ihr ernsthaftes und aufrichtiges Interesse an einer Partnerschaft und junge Schwiegersöhne erkauften sich das Wohlwollen oder zumindest die Akzeptanz ihrer (zukünftigen) Schwiegerfamilie.
Besonders wichtig waren Geschenke aber für den Machterhalt der Herrscher, seien es Könige, lokale Anführer oder nur der örtliche Großbauer. Durch besonders großzügige Gaben – Schwerter, Kleidung und besonders Armringe aus Gold und Silber – erkauften die Herrscher sich die Treue ihrer Gefolgsmänner. Diese sogenannten Gefolgschaftsgeschenke zeichnete den Empfänger zum einen vor den übrigen Kriegern als besonders loyal oder tapfer aus und verstärkten dessen Bindung zum Herrscher, spornten zum anderen aber die anderen Krieger durch die Aussicht auf eine solche materielle Belohnung als Gunstbezeugung wiederum zu tapferem Verhalten und Loyalität an. Gleichzeitig konnte die jeweilige Gefolgschaftsgabe auch durchaus von symbolischer Bedeutung sein und ein bestimmtes Verhalten vom Empfänger einfordern. So erhält der Protagonist Hallfreð in der altnordischen Hallfreðar saga vandræðaskálds von dem norwegischen König Óláf ein kunstvoll gearbeitetes Schwert als Lohn für ein Preisgedicht, das Hallfreð auf den König gedichtet hatte. Er bekommt das Schwert jedoch ohne Scheide überreicht, mit der Vorgabe, so vorsichtig damit umzugehen, dass er niemandem Schaden zufüge. Erst nach einigen Eskapaden am Königshof schenkt der König ihm demonstrativ die dazugehörige Scheide. Diese Gefolgschaftsgaben im Austausch für Loyalität waren für den Machterhalt der Herrscher in der skandinavischen Wikingerzeit so bedeutend, dass Freigiebigkeit als Tugend eines guten Königs galt; wer seine Gefolgschaft reich beschenkte, hatte viele loyale Krieger und war folglich mächtig. So finden sich in der Dichtkunst der Wikingerzeit viele, auf den ersten Blick überraschende Umschreibungen für ‚Herrscher‘ oder ‚König‘ wie z. B. hoddglǫtuðr, ‚der Schatz-Zerstörer‘ oder hringvarpaðar, ‚der Ring-Werfer‘, die darauf anspielen, dass der ideale Herrscher sein Gefolge üppig beschenkt.