[Der folgende Text ist die gekürzte Version eines Kapitels zu Gabriel Gustafson, das ich für mein Buch "Zwischen lokalen Traditionen und kultureller Integration. Kontinuität und Wandel in den spätwikingerzeitlichen Bestattungen auf dem Gräberfeld von Havor, Hablingbo sn, auf Gotland" geschrieben habe, das Ende des Jahres in der Reihe RessourcenKulturen bei Tübingen University Press erscheinen wird.
Die Informationen basieren auf auf einem Eintrag im Norsk biografisk leksikon[1], einem kurzen Nachruf durch seinen Nachfolger Anton Wilhelm Brøgger[2], drei kurzen Aufsätzen, die sich seinem Wirken und seinem Nachlass widmen[3], sowie Gustafsons Briefen und anderen Aufzeichnungen, die ich im Zuge meiner Arbeit an dem von ihm ausgegrabenen Gräberfeld von Havor, Hablingbo sn, auf Gotland, ausgewertet habe.]
Der Namen von Gabriel Gustafson ist eng mit einem der bedeutsamsten Funde der skandinavischen Wikingerzeit – dem Schiffsgrab von Oseberg in Vestfold (jetzt Vestfold og Telemark), Norwegen – verbunden [mehr dazu findet Ihr hier]. Gustafsons Leistungen, besonders für die norwegische Archäologie, sind jedoch wesentlich umfassender und vielschichtiger als seine nur äußerst spärlichen wissenschaftlichen Publikationen vermuten lassen. Er war aktiver Grabungsarchäologe auf Gotland, zeitweilig einziger Professor für Archäologie in Norwegen, er organisierte den Umzug der archäologischen Sammlung der Universität Oslos an ihren gegenwärtigen Standort im Historisk Museum auf Tullinløkken, war maßgeblich beteiligt an der Einführung eines Gesetzes zum Schutze archäologischer Denkmäler und die treibende Kraft hinter der Gründung des Vikingskipshuset auf Bygdøy als dauerhafte Ausstellung der Schiffe von Gokstad und Oseberg
Gustafson als gotländischer Archäologe
Gabriel Adolf Gustafson wurde am 8. August 1853 als Sohn des Pfarrers Hans Peter Gustafson und Hilda Maria Aurora Nyberg in Visby auf Gotland geboren. Bereits während seiner Schulzeit war Gustafson an Archäologie und Geschichte interessiert und lieh sich, eigenen Angaben in seinen späteren Briefen zufolge, bei seinem Lehrer Bücher über die schwedische Kulturgeschichte aus. Im Jahr 1871 begann Gustafson ein Studium der Archäologie an der Universität Uppsala. Währenddessen arbeitete er unter anderem als Amanuensis am Historischen Museum der Universität bei Oscar Montelius, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Sein Studium schloss er erst 1889 mit dem licentiatexamen (lic. phil.) ab, zu der Zeit in etwa vergleichbar mit dem Magister. Die lange Studienzeit von achtzehn Jahren war zum einen dadurch bedingt, dass Gustafson unbedingt im Fach Nordisk arkeologi graduieren wollte, das zu der Zeit als Examensfach in Uppsala nicht existierte. Erst nach hohem formalen Aufwand, diversen Gutachten und Empfehlungsschreiben sowie der persönlichen Intervention des schwedischen Königs Oskar II. wurde Gustafson ein solcher Abschluss ermöglicht. Zum anderen verbrachte Gustafson bereits während seiner Studienjahre zwischen 1875–1888 viele Monate im Auftrag von Kungliga Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien auf Ausgrabung, in Bohuslän und Halland sowie besonders auf Gotland. Dort untersuchte er zwischen 1877–1888 über ein Dutzend Gräberfelder, darunter Vallenstenarum, Vallstena sn, Trullhalsar, Anga sn sowie Barshalder, Grötlingbo sn. Während Gustafson an einigen Gräberfeldern nur wenige Tage arbeitete – so grub er in Barshalder im September 1881 innerhalb von drei Tagen fünfzehn und im folgenden Sommer innerhalb von fünf Tagen vierundzwanzig Gräber aus – verbrachte er in Havor von 1884–1887 vier Jahre in Folge jeden Sommer mehrere Wochen und untersuchte annähernd dreihundert Gräber. Zudem notierte er in seinen heute im ATA in Stockholm archivierten Reisetagebüchern auch Informationen zu älteren archäologischen Ausgrabungen und Funden, so bspw. zu den Ausgrabungen von Lundberg und Montelius 1968 auf Östra begravningsplatsen bei Visby oder zu dem einzigen bislang bekannten, allerdings nur unsicher dokumentierten wikingerzeitlichen Reitergrab von Gotland. Darüber hinaus kaufte Gustafson auf seinen Reisen in Bohuslän und auf Gotland an die hundertdreißig Artefakte von über sechzig Fundorten an, die 1885 als ‚Sammlung Gustafson‘ an das Statens Historiska Museum in Stockholm gingen.
Nach Abschluss seines Studiums erhielt Gustafson 1889 eine Anstellung als Kurator am Museum in Bergen als Nachfolger von Anders Lorange und war dort zuständig für Vorgeschichte und Mittelalter, aber auch für allgemeine Kulturgeschichte sowie für Denkmalschutz, und war Grabungsleiter bei einer Reihe von Ausgrabungen, darunter auf dem Gräberfeld von Hauge in Gloppen, Vestfold. Aus seiner Zeit in Norwegen sind über hundert Briefe erhalten, die er zumeist an Kollegen in Schweden schickte. Die Briefe geben sehr persönliche Einblicke in die Gedankenwelt von Gustafson. Überwog in den frühen Briefen aus Bergen an Kollegen wie Oscar Montelius oder Adolf Noreen noch die Zuversicht, den drückenden Studienschulden entkommen zu können und sich im Museum in Bergen seiner Begeisterung für die Vorgeschichte widmen zu können, änderte sich der Tonfall der Briefe im Laufe der Jahre deutlich. Aus ihnen geht hervor, dass Gustafson sich in Bergen fachlich isoliert fühlte, eine Beschwerde, die auch schon sein Vorgänger Anders Lorange 1874 äußerte. Auch scheint in seinen Briefen durch, dass er dort kaum echte Freunde hatte, obwohl er gegen Ende seiner Zeit in Bergen in eine angesessene Familie einheiratete. Am 2. Februar 1900 ehelichte er Susanna Catharina Grieg (1871–1900), die Schwester eines jungen Mitarbeiters, des Konservators James A. Grieg (1861–1936), und Tochter des Kaufmannes Alexander Behrens Grieg und seiner Frau Birgitte Friele. Seine Frau Susanne starb jedoch bereits wenige Monate später am 1. Dezember 1900 im Kindbett.
Die Zeit in Norwegen
Nur wenige Wochen zuvor, am 29. September 1900, war Gabriel Gustafson als Nachfolger des im Sommer 1899 verstorbenen Oluf Rygh (1833–1899) zum Leiter der Oldsaksamling (Universitetets Samling af Nordiske Oldsager) sowie zum einzigen Professor für Archäologie an der Universität in Oslo (damals Kristiania) ernannt worden. In seiner Antrittsvorlesung am 17. September 1901 unter dem Titel ‚Den norske oldforskning’ (‚Die norwegische Altertumskunde‘) beschrieb Gustafson sein Programm für die norwegische Archäologie, eingeleitet mit dem lakonischen Satz „Endnu er sikkert ikke det sidste vikingeskib fundet“ (‚Bislang ist sicherlich nicht das letzte Wikingerschiff gefunden worden‘), eine Aussage, die vor dem Hintergrund des Fundes von Oseberg keine zwei Jahre später nahezu prophetisch wirkt. Zentrale Punkte seines Programmes waren die Einrichtung von vier Zentralmuseen in Bergen, Kristiania/Oslo, Trondheim und Tromsø als Forschungsinstitutionen, während die kleineren Provinzmuseen nur für Vermittlung und Bildung zuständig sein sollten, die Registrierung aller Bodendenkmäler sowie die Schaffung eines Gesetzes zum Schutz von archäologischen Funden und Bodendenkmälern. Besonders die von Gustafson bereits 1897 erstmals erhobene Forderung eines Denkmalschutzgesetzes nach schwedischem Vorbild und der Plan einer Registrierung aller Bodendenkmäler beweist sein holistisches archäologisches Verständnis in einer Zeit, die noch immer maßgeblich geprägt war von typologischen Reihen und großen Sammlungen von Funden. Ironischerweise hätte das von Gustafson geforderte Gesetz, das den Schutz von Bodendenkmälern über das private Eigentumsrecht gestellt hätte, jedoch den Fund des Oseberggrabes verhindert, das durch private Grabungen des Hofbesitzers von Oseberg entdeckt wurde.
Eine seiner ersten großen Aufgaben in Kristiania/Oslo war 1902–1903 der Umzug der Oldsaksamling von den Räumen in der Universität in das neue Historisk Museum auf Tullinløkken, das 1902 nach den Plänen des Architekten Henrik Bull errichtet wurde. Ende Mai 1903 reiste er zudem nach Bergen, um dort am 28. Mai Laura Fredrikke Friele (1872–1952), die Cousine seiner verstorbenen ersten Ehefrau und Tochter des Zoologen und Mitglieds der Direktion in Bergens Museum, Herman Friele (1838–1921), zu heiraten. Aus seinen Briefen aus dieser Zeit geht hervor, dass es ihm bei der erneuten Heirat auch darum ging, seine kleine Tochter aus erster Ehe zu sich nach Kristiania/Oslo holen zu können. Bislang war diese bei Gustafsons Schwiegereltern in Bergen aufgewachsen, da Gustafson sich als Witwer mit der Erziehung seiner Tochter überfordert fühlte. Mit der Ehe mit Laura, aus der eine weitere Tochter und zwei Söhne hervorgingen, band Gustafson sich, nun als norwegischer Familienvater, erneut eng an Bergen.
Das Schiffsgrab von Oseberg
Zeitgleich zu den Arbeiten am neuen Museum kam es 1903 zur Entdeckung des Schiffsgrabes von Oseberg, dem Fund, der zu Gabriel Gustafsons Lebensaufgabe werden und seinen Namen bis heute prägen sollte. An seinem fünfzigsten Geburtstag, dem 8. August 1903, besuchte ihn der Bauer des Oseberghofes, Oscar Rom, im Museum. Rom hatte unter dem Eindruck des etwas über zwanzig Jahre zurückliegenden spektakulären Fundes des Schiffsgrabes von Gokstad eigenständig in dem großen Hügel auf seinem Hof gegraben und war dabei auf beschnitzte Holzteile gestoßen, die er Gustafson vorlegte. Zwei Tage später reiste Gustafson zum Oseberghof und unternahm einige Tage lang Testgrabungen, die den Verdacht stützten, dass sich auch in dem Hügel am Oseberghof ein wikingerzeitliches Schiffsgrab befände. Während der Hofbesitzer Rom, dessen Interessen in den folgenden Monaten noch des Öfteren mit denen Gustafsons kollidieren sollten, eine sofortige Ausgrabung des Hügels forderte, vertagte Gustafson diese auf das kommende Jahr.
Das Verhalten des Hofbesitzers Rom, der versuchte, aus dem bevorstehenden Fund Profit zu schlagen und Gustafson und das Museum in Kristiania/Oslo, das Museum in Tønsberg und angeblich auch englische Interessenten an dem Fund gegeneinander auszuspielen, bestärkte Gustafsons Überzeugung für die Notwendigkeit eines nationalen Denkmalschutzgesetzes. Nach dem bislang geltenden Gesetz zum Eigentumsrecht an Bodenfunden von 1752 auf Grundlage des ‚Kong Christian Den Femtis Norske Lov‘ von 168716/88 mussten sämtliche Funde zwischen dem Finder, dem Staat und dem Landbesitzer aufgeteilt werden, ein Umstand, den Gustafson mehrfach in seinen Briefen an schwedische Kollegen kritisiert hatte. Bereits 1897 hatte er gemeinsam mit einigen Kollegen einen Entwurf für ein Denkmalschutzgesetz vorgeschlagen, welches das private Eigentumsrecht an Bodendenkmälern massiv einschränkte und eigenständige Ausgrabungen oder Veränderungen an archäologischen Stätten verbieten würde. Inspiration für Gustafson dafür war sicherlich das seit 1666 existierende schwedische Denkmalschutzgesetz, das weltweit älteste dieser Art. Der Gesetzesvorschlag von 1897 war nach langen kritischen Diskussionen zurückgewiesen worden, federführend war dabei vor allem Nicolay Nicolaysen, damals Vorsitzender von Foreningen til Norske Fortidsmindesmerkers Bevaring und Ausgräber des Schiffsgrabes von Gokstad, der zu massive Einschränkungen des privaten Eigentumsrechtes darin sah. Erst unter dem Eindruck der bevorstehenden Ausgrabung des Hügels von Oseberg wurde am 17. Mai 1904, dem norwegischen Nationalfeiertag, ein erstes Gesetz verabschiedet, das zumindest auf Teile der von Gustafson erhobenen Forderung einging und die Ausfuhr von archäologischen Funden ins Ausland untersagte. Die Grabungen in Oseberg hatten zu dem Zeitpunkt noch gar nicht begonnen – erst einen Monat später wurde der Steven des Osebergschiffes freigelegt –, aber es ging die Befürchtung um, dass die zu erwartenden Funde aus Oseberg und das Gokstadschiff an Institutionen im Ausland verkauft werden würden. Ein umfassendes Denkmalschutzgesetz, das wie von Gustafson gefordert auch private Besitzverhältnisse in Bezug auf archäologische Funde regelte, wurde im folgenden Jahr am 13. Juli erlassen.
Die eigentliche Ausgrabung des Hügels von Oseberg fand vom 13. Juni bis zum 16. Dezember 1904 statt und bereits nach wenigen Tagen, am 19. Juni, wurde der ikonische Steven des Osebergschiffes freigelegt. Während der gesamten Grabung war Gustafson als Leiter der Oldsaksamling gezwungen, häufig nach Kristiania/Oslo zu reisen, um Funde im Museum einzureichen oder sich um die Finanzierung zu kümmern. In seiner Abwesenheit übernahm Haakon Shetelig (1877–1955), damals Konservator am Museum in Bergen und ab 1914 Professor für Archäologie, die Leitung der Grabung. Gustafson war es selbst nicht mehr vergönnt, die Ergebnisse seiner Arbeit zu publizieren. Nach seinem Tod 1915 war es Haakon Shetelig, der zusammen mit Anton Wilhelm Brøgger, Gustafsons Nachfolger als Leiter der Oldsaksamling und Professor in Kristiania/Oslo, und Hjalmar Falk (1859–1928), Professor für germanische Philologie in Kristiania/Oslo, die Publikation des Oseberggrabes übernahm.
Die Ausgrabungen in Oseberg im Sommer und Herbst 1904 beeinträchtigten die Arbeiten an der Ausstellung im neuen Museum in Kristiania/Oslo. Diese waren teilweise auf Sonntag und Montag beschränkt, da an den anderen Tagen am Oseberggrab gearbeitet wurde. Dennoch konnte die neue Ausstellung zur norwegischen Vorgeschichte bereits am 8./9. Oktober 1904 eröffnet werden und war, wie Gustafson in einigen seiner Briefe vermerkt, von Beginn an überaus gut besucht. Der Saal mit der Ausstellung zum Mittelalter wurde im folgenden Jahr eröffnet, wurde aber bereits zeitgenössisch als zu wenig durchdacht und uninspiriert kritisiert, was zum einen der enormen Arbeitsbelastung durch die bis Dezember 1904 andauernden Grabungen in Oseberg und zum anderen Gustafsons fehlender Expertise zu dieser Epoche geschuldet war. Dieser ständige Zeitdruck schlug sich auch in Gustafsons Hauptwerk – ‚Norges Oldtid‘ – nieder, das mehr „en eksponent for en faglig fin de siècle enn et varsel om nye tider“ (‚mehr einen Ausweis eines fachlichen Fin de Siècle als einen Ausblick auf neue Zeiten‘) darstellte.
Im Anschluss an die Grabungen und die langwierigen Konservierungs- und Präparierungsarbeiten am Osebergschiff und den Funden aus dem Grab zeichnete sich mit der Frage nach dem weiteren Verbleib des Schiffes zudem für Gustafson die nächste prägende Aufgabe seiner Karriere ab. Ab 1907 wurde das Osebergschiff erstmals für Besucher zugänglich provisorisch in den Räumen der Universität ausgestellt, die jedoch weder für eine sachgemäße Aufstellung des Schiffes noch für große Besuchergruppen ausreichend waren. Aus dieser Notwendigkeit heraus, die Schiffe von Oseberg und Gokstad adäquat ausstellen zu können, regte Gustafson 1913 ein eigenes Museum an, das heutige Vikingskipshuset auf Bygdøy. Maßgebliches Argument für die Wahl des Standortes auf Bygdøy war sicherlich, dass dort bereits seit Ende des 19. Jh. das von Hans Aall (1869–1946) gegründete Norsk Folkemuseum stand und mit dem Vikingskipshuset in zwei benachbarten zentralen Museen die Kulturgeschichte Norwegens präsentiert werden könnte. Gustafson sah 1914 noch die Pläne des Architekten Arnstein Arneberg (1882–1961), der mit seinem kathedralenartigen Entwurf den ausgeschriebenen Architekturwettbewerb gewonnen hatte, den Umzug des Osebergschiffes in das neue Vikingskipshuset 1926 nach neunzehn Jahren in den provisorischen Ausstellungsräumen erlebte Gustafson nicht mehr. Ab 1932 wurden auch die Schiffe aus Gokstad und Tune in das Vikingskipshuset auf Bygdøy verbracht. Die Funde aus Oseberg wurden von 1912 bis 1939 im Historisk Museum und ab 1957 ebenfalls im Vikingskipshuset ausgestellt.
„att lefva i landsflykt i hela sitt liv“
Trotz seiner hochrangigen Anstellung als Leiter der Oldsaksamling und Professor für Archäologie sowie seiner durchaus erfolgreichen Arbeit rund um einen der bedeutendsten Funde der skandinavischen Archäologie war Gabriel Gustafson in Kristiania/Oslo zunehmend unglücklich. In seinen Briefen äußerte er teils harsche Kritik an seinen norwegischen Kollegen und dem universitären System und zeigte sich enttäuscht über die von Konkurrenzkampf, dem ständigen Streit um Gelder und Finanzierungen und – aus seiner Sicht – ungerechtfertigter Kritik an seiner Arbeit geprägten Situation an der Universität.
Dazu kam die politische Entwicklung der ersten Jahre des 20. Jh. mit den wachsenden norwegischen Unabhängigkeitsbestrebungen, die sich zunehmend in antischwedischen Ressentiments entluden und am 7. Juni 1905 in der offiziellen Auflösung der seit 1814 existierenden Schwedisch-Norwegischen Union gipfelten. Die teils offen ablehnende bis feindselige Haltung gegenüber Schweden, die sich nach Gustafsons Wahrnehmung auch in einer zunehmenden Abwertung seiner wissenschaftlichen Leistung niederschlug, traf ihn empfindlich. Als Gotländer und – wie er in vielen Briefen betonte – stolzer Absolvent der Universität Uppsala, der akademisch im studentskandinavism der 1840er und 1850er Jahre sozialisiert worden war, auf der einen Seite und als Professor einer norwegischen Universität und Bergenser Familienvater auf der anderen Seite sah Gustafsons sich zwischen beiden Fronten stehend und von norwegischer Seite ungerecht behandelt. Bereits in seiner Zeit in Bergen hatte Gustafson 1897 in einem Briefwechsel mit Montelius die Möglichkeit erörtert, durch eine Sammlung seiner Ausgrabungsberichte möglichst schnell und einfach einen Doktortitel zu erhalten. Ging es ihm anfangs einzig um den Titel, wie er teils recht offen zugab, änderte sich in Kristiania/Oslo und spätestens unter dem Eindruck der Unionsauflösung die Dringlichkeit dieser akademischen Würdigung. In einem Brief an Adolf Noreen von 1901 beschwerte Gustafson sich, dass er in Kristiania/Oslo aufgrund des fehlenden Doktortitels geringgeschätzt würde und bat darum, dass ihm die Universität Uppsala die Ehrendoktorwürde verleihen solle. Zudem war sein schwedischer Abschluss als Lizentiat (lic. phil.) in Norwegen unbekannt, wurde teilweise schlicht ignoriert und betonte – zumindest nach Gustafsons Ansicht – zudem negativ seine schwedische Herkunft.
Vermutlich ausgehend von dem Einfluss seiner schwedischen Kollegen und möglicherweise auch gefördert durch eine Intervention des schwedischen Königs Oscar II., dessen Enkelsohn, der spätere König Gustaf VI. Adolf, bei Gustafson studiert hatte, wurde Gustafson in einem Festakt beim Linnéfest in der Domkirche von Uppsala am 23./24. Mai 1907 in Anwesenheit der schwedischen Prinzen die Ehrendoktorwürde verliehen. Diese Auszeichnung als Doktor der schwedischen Universität Uppsala war für Gustafson von enormer Bedeutung, wie er in einem Dankesbrief an Noreen vom Frühjahr 1907 schrieb. Die von ihm beabsichtigte Stärkung von Position und Ansehen in Kristiania/Oslo erreichte er jedoch nicht. Als er zur Disputatio von Haakon Shetelig im selben Frühjahr seinen schwedischen Kollegen Oscar Montelius als zweiten Opponenten in die Prüfungskommission berufen wollte, wurde ihm dieses Ansinnen verweigert. Zwar hatte Montelius bereits selber die Einladung abgelehnt, da er nicht in die akademischen Intrigen involviert werden wollte, aber Gustafsons Einfluss an der Universität in Kristiania/Oslo war offensichtlich nicht groß genug, als dass er einen Kandidaten seiner Wahl hätte einladen können. Spätestens ab der Verleihung der Ehrendoktorwürde orientierte Gustafson sich wieder weitaus stärker nach Schweden und erhoffte sich durch Meriten aus seinem Heimatland eine bessere Stellung in Norwegen. So bat er in einem Brief an Montelius aus dem Jahr 1909 in nahezu flehendem Tonfall darum, für einen schwedischen Orden vorgeschlagen zu werden, auch wenn er in vorauseilender Resignation anmerkte, dass er als Schwede sicherlich keinen norwegischen Orden und als norwegischer Beamter keinen schwedischen Orden erhalten könne. Ironischerweise erhielt Gustafson nie einen schwedischen Orden, stattdessen wurde er in Würdigung seiner Verdienste um das Oseberggrab 1911 zum Ritter erster Klasse des norwegischen St. Olavs-Ordens geschlagen. Später erhielt er zudem den dänischen Dannebrogorden sowie den Orden der französischen Ehrenlegion.
Die seiner Ansicht nach fehlende akademische Anerkennung in Norwegen, die politischen Spannungen zwischen Schweden und Norwegen, die sicherlich durchaus konkrete Auswirkungen auf Gustafsons Arbeitsleben hatten und nicht zuletzt auch Heimweh führten dazu, dass Gustafson zunehmend auf eine Rückkehr nach Schweden und eine Anstellung an einer schwedischen Institution hoffte. Bereits in einem der frühen Briefe aus Bergen an Montelius erwähnt Gustafson den Wunsch, nach Schweden zurückzukehren und eine Anstellung als Kurator am Statens Historiska Museum in Stockholm zu erhalten. In mehreren Briefen ab dem Jahr der Unionsauflösung 1905 bis kurz vor seinem Tod 1915 bat er Oscar Montelius und Emil Ekhoff (1846–1923), Kurator der Vitterhetsakademie, um Unterstützung für eine Stelle in Schweden. Teilweise scheint in Gustafsons Briefen eine deutliche Verzweiflung durch und mehrfach ließ er anklingen, dass er wohl jede Anstellung annehmen würde, so er dadurch nur nach Schweden zurückkehren könne. Seine Hoffnung war jedoch die Erfüllung seines akademischen Traumes, landsantikvarie für Gotland zu werden und zu den Anfängen seiner archäologischen Karriere zurückzukehren, wie er Montelius schrieb. Schon 1875 hatte Gustafson sich in einem Brief an Hans Hildebrand (1842–1913) als „studerande i Gotlands landskaper“ (‚Student der Landschaften Gotlands‘) bezeichnet, und in seinem Nachlass in der Oldsaksamling existiert eine mit Anmerkungen versehene Karte Gotlands aus Gustafsons Schulzeit, die er den Notizen zufolge bei allen seinen Reisen auf Gotland verwendet hatte. Gustafson hatte sich durch seine sorgfältige und zunehmend von wissenschaftlich-methodischem Vorgehen geprägten Ausgrabungen – wie bspw. in Havor 1884–1887, Oseberg 1904 oder Store-Dal in Skjeberg 1910–1913 – einen ausgezeichneten Ruf als Grabungsarchäologe erworben. Ebenso hatte er – neben dem Umzug des Museums und der Ausgrabung von Oseberg – mit den Denkmalschutzgesetzen von 1904/1905, der Einrichtung von fünf Zentralmuseen in Bergen, Kristiania/Oslo, Trondheim, Tromsø und Stavanger 1906 sowie mit der 1908 begonnenen Registrierung der norwegischen Bodendenkmäler alle zentralen Punkte seiner programmatischen Antrittsvorlesung von 1901 umsetzen können. Dennoch war er durch seine lange Tätigkeit in Norwegen im akademischen Milieu seines Heimatlandes Schweden kaum präsent und in Konkurrenz zu einer jüngeren und moderner ausgebildeten Generation von Archäologen wie Bernhard Salin (1861–1931) oder Oscar Almgren (1869–1945) schlicht chancenlos.
Rückkehr nach Gotland
Gabriel Gustafson blieb nur eine kurze Forschungsreise nach Gotland im Sommer 1910, bei der er sich eingehend mit den gotländischen Bildsteinen beschäftigte, eine chronologische Systematik zu erstellen versuchte und auch das Gräberfeld von Havor noch einmal besuchte. Ebenso wie bei den Ausgrabungen von Oseberg und Store Dal war es Gustafson auch hier nicht vergönnt, die Ergebnisse seiner Forschung zu publizieren. Diese Aufgabe wurde erst über dreißig Jahre später unter Aufgriff von Gustafsons Vorarbeiten durch Sune Lindqvist (1887–1976) übernommen und in den 1940er Jahren publiziert.
Für den Sommer 1914 hatte Gustafson eine weitere Forschungsreise nach Gotland geplant, um sich dort weiter mit den Bildsteinen zu beschäftigen. Eine schwere Bronchitis im Winter 1913/1914 verhinderte diese Reise jedoch. In einer letzten knappen Publikation wandte er sich von der Wikingerzeit ab und widmete sich wieder den Megalithgräbern, die ihn zu Beginn seiner Arbeit als Archäologe in Bohuslän fasziniert hatten. Geschwächt von langer Krankheit verstarb Gustafson am 16. April 1915 im Alter von einundsechzig Jahren in Kristiania/Oslo und wurde auf dem Östra kyrkogården in Visby auf Gotland bestattet.
Gustafsons Leben und seine Karriere als Archäologe sind voll von Wiedersprüchen. Er wurde in Kristiania/Oslo – verdient durch seine Arbeit auf Gotland und in Bergen – mit der Leitung der Oldsaksamling und der Professur für nordische Archäologie in höchste Ämter berufen, konnte trotz der vorhandenen Widerstände und Vorbehalte gegen ihn als Schweden seine Visionen einer norwegischen Archäologie umsetzen und war mit dem Oseberggrab für einen der ikonischsten und bedeutsamsten Funde der skandinavischen Wikingerzeit verantwortlich. Dennoch fühlte er sich Zeit seines Lebens in Norwegen unwohl und als Wissenschaftler wie auch als Schwede nicht ausreichend respektiert. In einem Brief an Montelius schrieb er, „att det är tungt att lefva i landsflykt i hela sitt liv“ (’dass es schwer ist, sein ganzes Leben im Exil zu leben‘). Hatte Gustafson den Großteil seiner akademischen Laufbahn auf Ansehen und wissenschaftliche Erfolge hingestrebt, so war er – vielleicht aus Enttäuschung, gekränktem Stolz und Heimweh – auf dem Höhepunkt seiner Karriere bereit, seine Stellung und die damit einhergehenden Möglichkeiten in Norwegen für eine Rückkehr nach Gotland bzw. Schweden aufzugeben; einem Schweden, dass, wie Welinder treffend schreibt‚ ‚in seinen Gedanken immer mehr zu einem utopischen Traum vom Gotland seiner Kindheit, dem Uppsala seiner Studentenzeit und einem unerreichbaren Vaterland wurde‘.Vor diesem Hintergrund erscheint es paradox, dass es in einer Zeit von politischen und sozialen Spannungen zwischen Schweden und Norwegen während der Auflösung der Union von 1814–1905 ein schwedischer Archäologe war, der, obgleich er aus tiefster Seele mit Norwegen haderte und fremdelte, die institutionellen und organisatorischen Grundlagen für eine nationale norwegische Archäologie legte und der mit dem Osebergschiff dem jungen norwegischen Staat ein bis heute bedeutsames nationales Identifikationssymbol gab.
[1] B. Solberg, Gabriel Gustafson. In: K. Helle (Hrsg.), Norsk biografisk leksikon. Bd. 3: Escholt–Halvdan (Oslo 2001) 441–442.
[2] A. W. Brøgger, Professor Doktor Gabriel Adolf Gustafson 1853–1915. Prähistorische Zeitschrift 6, 1914, 369.
[3] B. Hougen, Gabriel Gustafson. Viking. Tidskrift for norrøn arkeologi 29, 1965, 5–20; M. Vedeler, Gabriel Gustafson. Oseberg og oldsakenes vern. Viking. Norsk arkeologisk årbok 72, 2009, 7–16; S. Welinder, Gabriel Gustafson i Norge. Viking. Norsk arkeologisk årbok 61, 1998, 7–35.