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Kleider und Krieg. Militaria in der wikingerzeitlichen Frauentracht

Leszek Gardeła und Matthias Toplak

Schildmaiden und Walküren?

Die neuesten Forschungsergebnisse zu der ‚Kriegerin‘ von Birka haben die Diskussion um die Funde von Waffen in wikingerzeitlichen Frauengräbern in den letzten Jahren enorm angeheizt und die Forschung gezwungen, aus neuer Perspektive die Frage nach weiblichen Kriegern in der Wikingerzeit zu erforschen. Eine wichtige Fundgattung, die auf symbolischer Ebene eine enge Verbindung zwischen Frauen und Kampf herstellt, ist dabei bislang jedoch nur wenig berücksichtigt worden.

Schilde und Äxte im Kleinformat

Viel häufiger als echte Waffen treten in Frauengräbern der Wikingerzeit Schmuck- und Trachtelemente auf, die auf Bewaffnung und Kampf Bezug nehmen. In vielen Frauengräbern lagen Miniaturwaffen, wenige Zentimeter große Schilde, Äxte oder Speere, die zumeist als Anhänger getragen wurden.

Miniaturschild aus Silberblech aus Truso(Janów Pomorski in Polen.
© Leszek Gardeła

Schilde sind die häufigsten Miniaturanhänger in Frauengräbern der Wikingerzeit. Diese merkwürdigen Schmuckelemente, die üblicherweise aus dünnen Silber- oder Bronzeblech gefertigt sind, wurden offensichtlich auf unterschiedliche Arten getragen. Einige konnten zusammen mit Perlen oder anderen Amuletten an Halsketten aufgereiht oder möglicherweise auch auf die Kleidung aufgenäht sein, während andere stattdessen in einer Tasche oder einem Beutel verborgen vor den Blicken anderer aufbewahrt wurden. Es ist auffällig, dass Miniaturschilde sowohl in Brand- wie auch in Körpergräbern vorkommen, was aufzeigt, dass sie eindeutig mit vorchristlichen Vorstellungen verbunden waren. Jedoch bleibt unklar, was die Miniaturschilde über die Toten wie auch die Lebenden aussagen sollten. Aufgrund des oftmals wertvollen Materiales, aus dem sie gefertigt waren, können sie sicherlich auch als eine Art Statussymbol gewertet werden. Ebenso könnten sie als Erkennungszeichen oder spezifisches Symbol einer bestimmten Gruppe gedient haben. Interessanterweise wurden in einigen Gräbern in Birka Miniaturschilde zusammen mit offensichtlich heidnischen Symbolen wie Thorshämmern oder sogenannten ‚Walküren-Anhängern‘ gefunden, was vermuten lässt, dass die damit bestatteten Individuen eine besondere kultische Funktion gehabt haben könnten.

Eine weitere Waffe in Miniaturformat – Äxte – kommt ebenfalls vereinzelt wenn auch seltener in Frauengräbern vor. Ein besonders interessantes Exemplar stammt aus einem Frauengrab in Svingesæter in der Provinz Sogn og Fjordane in Norwegen. In einem Grabhügel war die Verstorbene in ausgestreckter Rückenlage in einer Steinkiste beigesetzt worden, angetan mit aufwändiger Tracht, bestehend aus einem Paar typisch wikingerzeitlicher ovalen Schalenfibeln und einer Perlengarnitur. Neben anderen Beigaben wie einem eisernen Schlüssel, der zu einem kleinen, teilweise noch erhaltenen Kästchen gehörte, einem Messer und einer Spinnwirtel fand sich im Grab auch eine Miniaturaxt. Die Frau war im Alter von etwa 20 Jahren gestorben, wie die anthropologischen Untersuchungen der Knochen ergaben. Bereits bei der Ausgrabung war vermerkt worden, dass der Schädel der Toten über den Schalenfibeln lag, was darauf hindeutet, dass die Tote sitzend bestattet wurde. Bestattungen in sitzender Position sind ungewöhnlich in der Wikingerzeit Norwegens, kommen dagegen häufiger in Kammergräbern in Schweden und der Kiewer Rus vor, wo sie üblicherweise mit einer sozialen Elite assoziiert sind. In den Kammergräbern dort wurden die Toten vermutlich auf hölzerne Stühle oder Hocker gesetzt, während die Frau in dem Grab von Svingesæter durch Kissen oder einen stützenden Erdhaufen in eine sitzende Position gebracht wurde. Diese besondere Behandlung der Toten deutet jedoch auf jeden Fall darauf hin, dass es sich um eine Person von hohem sozialen Status gehandelt haben muss. Die Miniaturaxt, die der Tote mit ins Grab gegeben wurde, könnte als Symbol von Macht und Status fungiert und gleichzeitig eine rituelle Funktion als Amulett besessen haben. Die Axt ähnelt den üblichen normal großen Äxten der Wikingerzeit. Eine Seite der Klinge hat einen Grat, der die Konstruktion von Axtblättern aus mehreren Lagen Eisen imitiert. Der Schaft ist konisch zulaufenden mit einer Spitze, die möglicherweise in einen Griff aus organischem Material saß. Die Miniaturaxt aus Svingesæter ist einzigartig für Norwegen, aber ähnliche Funde sind aus Irland und Dänemark bekannt. Es ist schwierig zu sagen, ob die Axt – über ihre offensichtliche Rolle als Statussymbol hinaus – auch konkrete praktische Funktionen als Werkzeug besaß. Sie ist zu kurz, um bspw. als Haarnadel zu dienen, aber sie könnte als Gewandnadel oder Hygienegerätschaft verwendet worden sein, um z. B. die Fingernägel zu säubern.

Miniaturaxt aus dem Grab von Svingesæter, Sogn og Fjordane in Norwegen.
© Leszek Gardeła

Es ist erwähnenswert, dass neben den Miniaturäxten aus Metall auch eine ganze Reihe von Exemplaren aus Bernstein gefunden wurden. In zwei Frauengräbern in Birka lagen je eine Bernsteinaxt und eine Miniaturaxt aus Bronze zusammen mit Miniaturschilden aus Silberblech. Eine große Anzahl von Bernsteinäxten ist auch von der schwedischen Insel Gotland bekannt, wo sie dem aktuellen Forschungsstand nach ausschließlich in den Gräbern von Männern vorkamen. Während noch unklar ist, ob diese Bernsteinäxte mit Wikingern oder nicht eher mit Slawen oder Balten in Verbindung zu bringen sind, erscheint es sicher, dass sie als ein östlicher Einfluss zu werten sind. Diese östliche Assoziation der Miniaturäxte passt zu der sitzenden Bestattung der Frau aus Svingesæter – einer Bestattungssitte, die charakteristisch für den östlichen Bereich der wikingerzeitlichen Welt ist. Vielleicht war die Frau eine Fremde aus dem Osten?

Die Auswertung der Frauengräbern mit Miniaturäxten zeigt, dass diese Artefakte oft in den Bestattungen von sozial hochstehenden Personen vorkommen und vermutlich als eine Art Rangsymbol gesehen werden müssen. Zudem gibt es ausgehend von den Beigaben in einigen Gräber deutliche Anzeichen dafür, dass diese Personen eine besondere Rolle bei kultischen Zeremonien spielten.

Kultsymbole oder Schutzfunktion?

Über die genaue Bedeutung dieser Waffen-Amulette wurde in der Forschung viel diskutiert und einige der älteren Interpretationen sind deutlich geprägt von einer patriarchalischen Sichtweise, die bei unserem heutigen Verständnis der Wikingerzeit nicht mehr haltbar ist. So wurde bspw. vorgebracht, dass die Miniaturwaffen den Frauen von ihren in die Schlacht ziehenden Männern als Abschiedsgeschenk bzw. als Verpflichtung zur Rache im Falle des Todes übergeben worden wären. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Funde von Darstellungen waffentragender Frauen, die vielleicht als Walküren zu sehen sind, könnten die Miniaturwaffen eine ähnliche kultisch-rituelle Bedeutung haben wie die echten Waffen in Frauengräbern und damit nur eine andere Ausdrucksform für dieselbe Aussage darstellen. So könnten die Frauen dadurch als Priesterinnen bzw. Kultführerinnen ausgezeichnet oder zumindest ihre besondere Verbundenheit mit den mythologischen Vorstellungen von Schildmaiden im Gefolge des Kriegergottes Odin hervorgehoben worden sein. Da Miniaturwaffen allerdings auch vereinzelt in Männergräbern vorkommen, sollten sie vermutlich primär als allgemeine Schutzamulette gegen böse Geister oder andere übernatürliche Kräfte gedeutet werden, vielleicht aber auch als ein Symbol einer bestimmten Gruppe von Personen. Diese Deutung schließt jedoch nicht aus, dass einige der Amulette – besonders die Anhänger in Form von Schilden, die fast ausschließlich in Frauengräbern vorkommen – von Personen getragen wurden, die Rituale oder religiöse Kulthandlungen ausführten und für die daher ein besonderer spiritueller Schutz nötig schein. Die Furcht vor bösen Geistern, die von zauberkundigen Personen Besitz ergreifen konnten, ist in der altnordischen Mythologie an verschiedenen Stellen belegt, und die Amulettschilde könnten als Schutz dagegen getragen worden sein.

Kriegsgerät als Frauenschmuck

Neben den als Anhänger getragenen Miniaturwaffen fällt in der altnordischen Frauentracht zudem ein Fibeltyp durch Verbindungen zur militärischen Sphäre auf. Eine übliche Fibelform ist die sogenannte Kleeblattfibel, die in verschiedenen Größen vorkamen und als Verschluss für den Halsausschnitt eines Kleides, für einen Schal oder einen Mantel getragen wurden. Die ungewöhnliche Dreipassform geht zurück auf die kleeblattförmigen Riemenverteiler an karolingischen Schwertgurten, mit denen der Gürtel zum besseren Sitz des Schwertes in drei Riemen aufgeteilt wurde. Einige frühe Funde von Kleeblattfibeln aus Skandinavien belegen zudem durch die deutlich karolingische Akanthusornamentik die Entwicklung dieses Fibeltyps aus einem Riemenverteiler des fränkischen Wehrgehänges. Vermutlich gelangten einige dieser Riemenverteiler als Handelsware oder exotisches Souvenir nach Skandinavien, wurden dort von findigen Handwerkern zu Fibeln umgearbeitet und von einigen Frauen als Schmuck getragen, möglicherweise als Zeichen für weitreichende Handelsverbindungen. Diese Fibeln fanden innerhalb von kürzester Zeit Eingang in die skandinavische Frauentracht und wurden in großen Mengen und verziert in den nordischen Kunststilen produziert. Eine kleine vergoldete Frauenfigur, die vor wenigen Jahren in Revninge in Dänemark gefunden wurde, zeigt auf Gürtelhöhe deutlich eine dreieckige Verzierung, die einer Kleeblattfibel verblüffend ähnelt und einen Hinweis darauf geben könnte, dass diese Fibeln von Frauen auch als Verschluss eines textilen Gürtels getragen wurden, ähnlich der ursprünglichen Funktion dieser Artefakte im Frankenreich.

Aufwändig mit Granulation verzierten Kleeblattfibel der wikingerzeitlichen Frauentracht aus Stora Ryk, Dalsland in Schweden.
© Christer Åhlin/SHM

Es ist unklar, ob die Franken diese Adoption eines Elementes ihrer Kriegstracht in die Frauenmode der Wikinger wirklich wahrgenommen haben – möglicherweise durch fränkische Händler an den skandinavischen Handelsplätzen oder Abordnungen von Wikingern mit ihren Frauen am fränkischen Hof. Sicher wird aber vielen Wikingern aufgrund der permanenten Konfrontationen mit dem fränkischen Reich die Ähnlichkeit zwischen den Kleeblattfibeln und den Riemenverteilern bewusst und damit vermutlich auch die Herkunft der Fibeln bekannt gewesen sein. Es lässt sich nur darüber spekulieren, ob und welche Intentionen hinter dieser abweichenden Verwendung lagen. Mit Sicherheit werden modische Aspekte ausschlaggebend für die schnelle Verbreitung dieses Fibeltyps gewesen sein und es würde zu weit gehen, die Kleeblattfibeln in der Frauentracht noch als ein militärisches Symbol zu deuten. Es ist aber auch nicht gänzlich außer Acht zu lassen, dass eben auch intendiert ein Element der feindlichen Kriegstracht als Schmuckgegenstand der Frauentracht adoptiert und damit möglicherweise auch bewusst ‚verweiblicht‘ wurde.

Eine ähnliche abweichende Verwendung lässt sich auch mit zu Anhängern umgearbeiteten ‚orientalisierenden‘ Gürtelbeschlägen fassen. Aufwändige Gürtelgarnituren mit dekorativen Zierriemen – sogenannte Kompositgürtel –, die eng mit bronzenen, ‚orientalisch‘ verzierten Beschlägen besetzt waren, waren bei den Reitervölkern der eurasischen Steppe essentieller Teil der Kriegertracht. Über die Handelsrouten der Wikinger entlang der Flusssysteme Osteuropas gelangten sowohl ganze Gürtelgarnituren dieses Typs wie auch eine Menge von einzelnen Gürtelbeschlägen nach Skandinavien. Während im östlichen Skandinavien und in der Kiewer Rus diese Kompositgürtel vereinzelt als Zeichen für den Kriegerstand in die lokale Tracht der Männer integriert wurden, wurden die einzelnen Beschläge durch angenietete Ösen zu Anhängern umgearbeitet und als Schmuck von Frauen getragen.

Neue Perspektiven

Entgegen der über Generationen hinweg postulierten Ansicht, dass in der Wikingerzeit die Sphäre der Frauen und die Sphäre von Waffen und Krieg vollständig und ohne jede Berührungspunkte voneinander getrennt gewesen wären, zeichnen neue, detailliertere und kritischere Betrachtungen ein gänzlich anderes Bild. Immer mehr Frauengräber mit Waffen oder auf Waffen und Kampf Bezug nehmenden Symbolen werden entdeckt und zwingen so die Forschung, die traditionellen Gender-Grenzen in der Wikingerzeit kritisch zu hinterfragen. Noch bleiben jedoch viele Fragen offen, besonders bspw. ob die Miniaturwaffen und andere auf Kampf und Waffen referierende Symbole primär als Zeichen von Rang und Status zu deuten sind oder ob sie auch eine rituelle Bedeutung haben.

Zuerst veröffentlicht in leicht abgeänderter Form in der 'Archäologie in Deutschland' 02/2020, S. 40–43.