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Neue Studie in ‚Nature‘ belegt genetische Vielfalt der Wikinger

Eine jüngst im Fachjournal 'Nature' publizierte Studie belegt die enorme genetische Diversität der Wikinger. Im Kontrast zur populären Darstellung der Wikinger handelte es sich bei ihnen nicht durchgängig um blonde oder rothaarige Hünen, stattdessen werden viele Wikinger auch braune oder dunkle Haare gehabt haben. So zeigten die Gene von über 400 analysierten Individuen aus dem Aktionsradius der Wikinger eine enorme Varianz hinsichtlich Haar- und Augenfarbe sowie Hautton (Komplexion) und belegten deutliche Einflüsse aus anderen genetischen Gruppen, teilweise sogar aus Südosteuropa.

Die Ergebnisse kommen für die Archäologie nicht überraschend. Sie liefern aber naturwissenschaftliche, handfeste Belege für die in der Forschung schon seit langem als sicher geltenden Feststellung, dass es sich bei ‚den Wikingern‘ nicht um ein einheitliches Volk gehandelt hat. Stattdessen müssen wir das Phänomen ‚Wikinger‘ als einen kulturellen Raum begreifen, in dem verschiedene Populationen miteinander interagierten, sich austauschten und vermischten. Auch wird dieser Prozess sicherlich bereits lange vor der Wikingerzeit begonnen haben, aber durch die enorme Mobilität ab dem 8./9. Jahrhundert enorm an Geschwindigkeit und Ausmaß zugenommen haben.

Dieses Konzept der sogenannten ‚Ethnogenese‘ – dem Entstehen von Volksgruppen, die sich über bestimmte Aspekte (Sprache, Mythologie, Kultur) definieren – lässt sich für die Wikingerzeit beispielhaft an der Etablierung der ‚Kiewer Rus‘ in Osteuropa fassen: Im 9. und 10. Jh. etablierte sich vom östlichen Skandinavien ausgehend ein Handelsnetzwerk, das sich von Birka in Schweden über die russischen Flusssysteme von Wolga und Dnjepr bis zum Schwarzen und zum Kaspischen Meer erstreckte. Entlang der großen Flüsse entstanden aus oftmals slawischen Siedlungen befestigte Handelsplätze, die als Umschlagplatz für Waren und zur Kontrolle der Handelswege fungierten und gegen Ende des 9. Jh. die Keimzelle für die Entstehung des Altrussischen Reiches, die ‚Kiewer Rus‘ waren. Über dieses Handelsnetzwerk, das durch die Territorien der steppennomadischen Reitervölker bis nach Konstantinopel – Hauptstadt des mächtigen Byzantinischen Reiches – und in die islamische Welt reichte, kamen die Skandinavier in Kontakt mit einer Vielzahl anderer Kulturen. Diese Kontakte reichten von gelegentlichen militärische Konfrontationen – besonders mit den Steppennomaden und immer wieder auch mit dem Byzantinischen Reich – über friedlichen Handel hin zur Etablierung einer gemeinsamen, hybriden Kultur der ‚Rus‘. Viele Wikinger ließen sich in den Handelsplätzen nieder und es entstand durch materiellen wie ideellen Austausch eine gemeinsame Identität, die sich über die Herkunft hinweg durch die Zugehörigkeit zu einer kollektiven, stark von einer Kriegerideologie geprägten Kultur definierte, die in der Forschung als ‚Rus‘ bezeichnet wird. Diese kollektive kulturelle Identität verschiedenster Gruppen drückte sich in der Adaption bestimmter Trachtelemente, Waffen und Kunststile aus, die aus skandinavischen, slawischen, steppennomadischen und auch byzantinischen wie islamischen Einflüssen zu einem eigenständigen kulturellen Charakter verschmolzen [Mehr dazu findet Ihr >hier<].

Auch aus Skandinavien selber sind archäologische Hinweise auf eine weitreichende individuelle Mobilität bekannt. Eine der beiden Frauen aus dem berühmten Schiffsgrab von Oseberg stammte aus der Region um das Schwarze Meer, möglicherweise aus dem heutigen Iran [Mehr zu dem Schiffsgrab von Oseberg findet Ihr >hier<]. Von der Ostseeinsel Gotland sind zudem drei Frauen mit künstlich deformierten Schädeln bekannt. Die Sitte der künstlichen Schädeldeformation (sogenannte Turmschädel) war in der Völkerwanderungszeit in ganz Europa verbreitet, in der späten Wikingerzeit wurde sie aber nur noch in Südosteuropa (vor allem in Bulgarien) sowie in Zentralasien ausgeübt. Bislang liegen noch keine genetischen Untersuchungen der drei Frauen von Gotland vor, aber es ist anzunehmen, dass sie tatsächlich aus Südosteuropa stammten, aus unbekannten Gründen nach Gotland gelangten und dort in die lokale Gesellschaft integriert wurden – so legen es zumindest ihre Gräber nahe, in denen sie als echte gotländische Wikingerinnen bestattet wurden [Mehr dazu findet Ihr >hier<. Die drei Frauen mit deformierten Schädeln von Gotland wurden von mir zudem in einem Fachaufsatz in der Zeitschrift 'Germania' diskutiert: Toplak, Matthias S., 2019, Körpermodifikationen als Embodiment von sozialer Identität und als sozio-kulturelle Ressource – Das Fallbeispiel der artifiziellen Schädeldeformationen in der skandinavischen Wikingerzeit; mit einem Beitrag zur Kraniometrie von V. Palmowski, in: Germania. Anzeiger der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts, Vol. 97, S. 93–129.].