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Vor wenigen Wochen hatte ich die große Ehre, im Studio von Grimfrost zu Gast zu sein und mit Johan Hegg - seines Zeichens Frontmann von Amon Amarth - über Reenactment, die Wikingerzeit und meine Forschung zu sprechen. Das Video-Interview ist nun als Folge 6 des Podcasts "Explore the Viking Age" von Grimfrost erschienen und bei Youtube zu sehen.

Schulen oder Kindergärten gab es in der Wikingerzeit noch nicht. Die Kinder lernten fast alles von den Erwachsenen. So mussten sie schon früh ihren Eltern bei der alltäglichen Arbeit helfen: Sie mussten Brennholz sammeln, Tiere hüten oder auf die jüngeren Geschwister aufpassen. Die Mädchen halfen der Mutter bei der Hausarbeit, die Jungen ihren Vätern in der Werkstatt, auf den Feldern oder beim Fischen und erlernte so die Fähigkeiten für ihr späteres Leben. Trotzdem haben auch die Kinder in der Wikingerzeit oft Freizeit gehabt, in der sie verschiedenste Spiele miteinander spielten. In Haithabu wurden verschiedenste Gegenstände gefunden, die als Kinderspielzeug gedeutet werden können: kleine geschnitzte Schiffe aus Holz, mit denen die Kinder in Haithabu am Hafen spielerisch selbst „in See stechen“ konnten oder Poppen aus Holz und Knochen. An anderen Fundplätzen in Skandinavien sind kleine Holzschwerter gefunden worden, mit denen die Jungen den großen Kriegern nacheifern konnten, unterschiedlichste Tierfiguren aus Holz, Knochen oder Bernstein wie kleine Pferde, Enten oder Katzen sowie Lederbälle und Kreisel. Im Winter, wenn man sich in die dunklen Häuser zurückzog, spielten die Kinder sicherlich auch ähnliche Spiele wie die Erwachsenen: Würfelspiele mit kleinen Knochenwürfeln oder das beliebte Brettspiel Hnefatafl, bei dem ein Spieler die Rolle des Verteidigers übernimmt, der mit seinem König vom Spielfeld zu fliehen versucht, während der andere Spieler als Angreifer die Königsfigur festsetzen muss.

Auch wenn wir nicht allzu viel über Leben und Alltag von Kindern in der Wikingerzeit wissen – das archäologische Fundmaterial spiegelt zumeist nur das Leben der Erwachsenen wider – zeigen die Funde von Spielzeug eindrücklich auf, dass auch in Haithabu das Lachen und Kreischen spielender Kinder durch die Gassen hallte.

Das aktuelle Magazin von 'Zeit Geschichte: Wikinger' widmet sich ausführlich auf über 120 Seiten der Wikingerzeit. Mehr als 20 Beiträge, teilweise verfasst von international renommierten Fachleuten beleuchten unterschiedliche Aspekte dieser Epoche und auch für echte 'Wikinger-Kenner' findet sich noch die ein oder andere neue Information. Ich habe das Heft als Fachberater begleiten dürfen und mich in einem längeren Interview, das den Abschluss des Heftes bildet, mit den Redakteuren über die heutige Faszination für die Wikingerzeit unterhalten.

Echte Wikinger waren Heiden, glaubten an Odin, Thor und die anderen Götter der Edda und lehnten das Christentum ab. Dies ist jedenfalls das Bild, dass uns in den Medien zumeist vermittelt wird. Die historische Realität sah dagegen ganz anders aus. Schon früh kamen die Menschen der skandinavischen Wikingerzeit mit dem christlichen Glauben in Berührung, auf ihren Handelsfahrten in den Süden und Westen oder durch christliche Händler, z. B. in Haithabu. Haithabu nahm bei der Christianisierung der Wikinger auch eine zentrale Rolle ein, denn um das Jahr 850 n. Chr. herum wird dem Mönch Ansgar, dem ‚Apostel des Nordens‘, erlaubt, in Haithabu eine Kirche zu errichten und zu predigen. Etwa einhundert Jahre später wird Haithabu zusammen mit den Siedlungen Ribe und Århus zum Bistum ernannt. Die eindrucksvolle große Bronzeglocke, die 1978 im Hafenbecken von Haithabu gefunden wurde, hängt möglicherweise damit zusammen. Viele Funde aus Haithabu weisen zudem deutlich darauf hin, dass viele Einwohner bereits Christen waren – oder zumindest diesen neuen Gott aus dem Süden, den sie als ‚Weißen Christus‘ bezeichneten, einfach in ihren Götterhimmel integrierten. So betete man nicht nur zu Odin und Thor, sondern auch noch zu Jesus Christus. Der eindrucksvollste Hinweis darauf ist sicherlich eine in Haithabu gefundene Specksteingussform, in der sowohl christliche Kreuze wie auch heidnische Thorshämmer, das Symbol des Donnergottes Thor, gegossen werden konnten. Dieser sogenannte „Synkretismus“, das Vermischen heidnischer und christlicher Glaubensvorstellungen war möglich, weil es keine allgemeingültige, dogmatische heidnische Religion gab, die überall in Skandinavien ausgeübt wurde. Es gab auch kein Buch ähnlich der Bibel, in dem stand, woran man zu glauben hatte. Die berühmte „Edda“ (eigentlich die Eddas, denn es gibt zwei Werke dieses Namens), die faszinierende Sammlung von Mythen über die altnordischen Götter und Helden, wurde erst Jahrhunderte nach der Wikingerzeit niedergeschrieben. So war es möglich, den neuen Gott und einzelne Aspekte des Christentums sukzessive in die heidnischen Glaubensvorstellungen zu integrieren, bis das Christentum gegen Ende der Wikingerzeit das Heidentum weitestgehend abgelöst hatte. Die Wikingerzeit ist daher eine sogenannte „Transitionsphase“, eine Phase des Überganges von den alten heidnischen Glaubensvorstellungen zum Christentum.

Seit wenigen Wochen ist der Genuss von Cannabis in Deutschland erlaubt. Wie aber sah es in der Vergangenheit aus? Kannten die Wikinger schon Cannabis und konsumierten sie Drogen?

Das Bild von Cannabis als Droge von Hippies und anderen Gestalten hat sich in unserer Zeit gefestigt, aber auch schon im wikingerzeitlichen Skandinavien kann Cannabis in Form von Pollen, Samen, Früchten und Fasern erkannt werden. Aber wofür haben die Wikinger Cannabis genutzt?        
In einigen Gräbern in Skandinavien wurden Textilfragmente aus Hanffasern gefunden, die eine Nutzung der Pflanze zur Herstellung von Kleidungstextilien belegt. Eine Nutzung als Rauschmittel ist dagegen deutlich schwieriger zu erkennen. Ein möglicher Fall ist das berühmte Grab von Oseberg. In dem eindrucksvollen und reich ausgestatteten Schiffsgrab am Oslofjord waren zwei Frauen neben zahlreichen Alltagsgegenständen bestattet. Unter den Beigaben fanden sich auch einige Cannabis-Samen. Aufgrund der besonders auffälligen Bestattungsumstände wurde oftmals vermutet, dass es sich bei zumindest einer der beiden Frauen um eine Zauberin oder Priesterin gehandelt haben könnte. In einem rituellen oder magischen Kontext könnten die Cannabis-Samen als Halluzinogen zur Erzeugung von Trancezuständen verwendet worden sein. Die starke Arthritis der älteren der beiden Frauen könnte aber auch auf eine weitere Nutzung von Cannabishindeuten: als Schmerzmittel.

Vor wenigen Wochen ist ein Artikel im schwedischen Fachjournal 'Current Swedish Archaeology' erschienen, in dem ich zusammen mit meinem Kollegen Lukas Kerk von der Universität Münster einige theoretische Gedanken über die Aussagekraft von Körpermodifikationen insgesamt und die Bedeutung von Zahnfeilungen und Schädeldeformationen in der skandinavischen Wikingerzeit vorgestellt habe. Der Artikel hat zu unserer Überraschung ein enormes Presse-Echo gefunden - bis zum Smithonian Magazine in den USA - und wird nun auch in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung besprochen.

Die Winter sind lang und dunkel in Nordeuropa. In der Wikingerzeit waren die Wintermonate für viele Menschen eine harte, entbehrungsreiche und vermutlich auch langweilige Zeit. Es war kalt und feucht und man musste Mensch und Vieh mit den in Sommer und Herbst angelegten Vorräten durchbringen. Waren die langen Tage im Sommer von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang voller Arbeiten, ruhte das Leben auf dem Hof im Winter fast völlig. Man ging in den wenigen hellen Stunden auf die Jagd, ansonsten hielten sich die Menschen so weit es ging in den Häusern auf. Bei Schnee und Eis waren weder Ackerbau noch andere Arbeiten im Freien auf dem Hof möglich und das Vieh, das im Herbst nicht geschlachtet worden war, war im Stall. In den nur spärlich durch das Herdfeuer und kleine Talglampen beleuchteten dunklen Häusern war auch Handwerk und Handarbeit nur eingeschränkt möglich. Während man im Sommer am Ende eines anstrengenden Arbeitstages vermutlich erschöpft auf die Schlafstelle fiel, saß man nun den ganzen Tag mit Familie und Gesinde am Herdfeuer und musste sich beschäftigen. Sicherlich geht die Vorliebe der wikingerzeitlichen Menschen, selbst profanste Alltagsgegenstände wie Löffel oder Messergriffe aufwändig mit geschnitzten Mustern zu verzieren auf diese langen, dunklen Wintertage zurück.

Vor allem aber haben wir dem nordischen Winter einen einzigartigen Schatz zu verdanken: die altnordische Sagaliteratur mit ihrer Fülle an ebenso spannenden wie lebendigen Geschichten über Könige und Skalden, Helden und Bauern der Wikingerzeit. Diese Sagas – ob auf reale historische Ereignisse zurückgehend oder erfundene Geschichten abenteuerlicher Reisen – wurden zur Unterhaltung, vielleicht aber auch als belehrende oder mahnende Beispiel, von einer Generation an die nächste weitergegeben. Ob die uns heute bekannten altnordischen Sagas so auch schon in der Wikingerzeit erzählt wurden oder ob sie literarische Neuschöpfungen des 13./14. Jh. sind, lässt sich nicht mehr sicher sagen. Ihr Kern – die Freude an Erzählungen über heroische Kriegern, wortgewandte Skalden oder gewitzte Bauernjungen – geht aber ganz sicher auf die Wikingerzeit zurück. Und mit Sicherheit wurden solche Sagas auch an den Herdfeuern in Haithabu erzählt.

Da ich seit fast 25 Jahren großer Fan der schwedischen Viking-Death-Metaller von Amon Amarth bin, hat es mich enorm gefreut, für 'Grimfrost', das 'Viking-Lifestyle-Label' von Amon Amarth-Frontmann Johan Hegg für den ersten Blog-Beitrag einer neuen Serie angefragt worden zu sein. Zur Feier des 10-jährigen Bestehens von 'Grimfrost' erscheint in diesem Jahr jeden Monat ein Blogbeitrag eines Archäologen zu verschiedenen Themen rund um die skandinavische Wikingerzeit. Ich durfte dieses tolle Projekt nun im Januar mit einem englischen Beitrag zu "Tattoos and Teeth Modification in Viking Age Scandinavia" eröffnen und bin sehr gespannt auf die noch folgenden Beiträge.

Im vergangenen Herbst und Winter sind einige Fachaufsätze von mir zu verschiedenen Themen erschienen, die allerdings vorerst nicht online frei zugänglich sind.

  • In dem Sammelband 'Animals and Animated Objects in Past Societies. New Approaches in Archaeology 1', herausgegeben von meinem guten Freund Leszek Gardeła, zusammen mit Kamil Kajkowski, ist ein Aufsatz von mir zu dem Thema 'Horse Burials on Viking Age Gotland. Between Mounted Warriors and Totemic Animals' erschienen. Darin untersuche ich die Funktion und Symbolik von Pferden in wikingerzeitlichen Bestattungen auf Gotland.
  • Als Begleitband zu der kommenden Sonderausstellung zu den völur, den Seherinnen der Wikingerzeit, im dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen ist im Spätsommer das Buch 'The Norse Sorceress: Mind and Materiality in the Viking World' erschienen, herausgegeben von Leszek Gardeła, Sophie Bønding und Peter Pentz. In meinem Aufsatz 'Ritualised Executions and Human Sacrifices in the Viking World' diskutiere ich die Nachweise für Menschenopfer in der Wikingerzeit und deren mögliche Funktionen.
  • Ebenfalls um Menschenopfer in der Wikingerzeit und die Frage nach ihrer sozio-politischen Funktion geht es in meinem Kapitel 'Ritual Killings as Resource Complex in the Viking Age Funeral Ceremony' in dem Sammelband 'Human Sacrifice and Value: Revisiting the Limits of Sacred Violence from an Archaeological and Anthropological Perspective', herausgegeben von Matthew Walsh et al.
  • In einem kurzen, populärwissenschaftlichen Artikel in der 'Archäologie in Deutschland' hatte ich mich zusammen mit Leszek Gardeła vor ein paar Jahren bereits einmal der Frage von militärischer Symbolik in Frauengräbern der Wikingerzeit gewidmet. Nun haben wir gemeinsam einen Fachartikel in der neuesten Ausgabe des schwedischen Journals 'Fornvännen' mit dem Titel 'Transformative Objects: Rethinking Weapons in Viking Age Female Graves' publiziert. Der Artikel wird Mitte 2024 als PDF auf der Webseite von 'Fornvännen' frei zugänglich sein.
  • Der Frage nach Körpermodifikationen in der Wikingerzeit und deren Funktion als Symbole gesellschaftlicher Kommunikation gehen mein Kollege Lukas Kerk und ich in einem Aufsatz mit dem Titel 'Body Modification on Viking Age Gotland – Artificially Modified Skulls and Filed Teeth as Embodiment of Social Identities' nach, der in den nächsten Tagen in dem schwedischen Fachjournal 'Current Swedish Archaeology' veröffentlicht werden wird und dann auch direkt online zugänglich ist.

In der heutigen Gesellschaft wird gerade in der Vorweihnachtszeit oft Kritik an einer ausufernden, kapitalistischen und rein materialistischen Kultur des Schenkens laut. Das Austauschen von Geschenken ist jedoch schon immer wichtig gewesen, um soziale Relationen – Partnerschaften, familiäre Zusammengehörigkeit, Freundschaften aber auch diplomatische oder geschäftliche Beziehungen – zu stärken. In der Wikingerzeit hatte das gegenseitige Beschenken eine hohe soziale Bedeutung. Als Gast brachte man dem Gastgeber Geschenke mit, erhielt aber bei Abreise ebenfalls Geschenke. Der materielle – aber auch der ideelle – Wert dieser Geschenke sagte viel über die gegenseitige Wertschätzung der sich Beschenkenden und über ihre jeweilige soziale Stellung aus. Ähnlich wie heute versicherten sich so Freude der gegenseitigen Zuneigung, Geschäfts- oder Bündnispartner bestätigten ihr ernsthaftes und aufrichtiges Interesse an einer Partnerschaft und junge Schwiegersöhne erkauften sich das Wohlwollen oder zumindest die Akzeptanz ihrer (zukünftigen) Schwiegerfamilie.

Besonders wichtig waren Geschenke aber für den Machterhalt der Herrscher, seien es Könige, lokale Anführer oder nur der örtliche Großbauer. Durch besonders großzügige Gaben – Schwerter, Kleidung und besonders Armringe aus Gold und Silber – erkauften die Herrscher sich die Treue ihrer Gefolgsmänner. Diese sogenannten Gefolgschaftsgeschenke zeichnete den Empfänger zum einen vor den übrigen Kriegern als besonders loyal oder tapfer aus und verstärkten dessen Bindung zum Herrscher, spornten zum anderen aber die anderen Krieger durch die Aussicht auf eine solche materielle Belohnung als Gunstbezeugung wiederum zu tapferem Verhalten und Loyalität an. Gleichzeitig konnte die jeweilige Gefolgschaftsgabe auch durchaus von symbolischer Bedeutung sein und ein bestimmtes Verhalten vom Empfänger einfordern. So erhält der Protagonist Hallfreð in der altnordischen Hallfreðar saga vandræðaskálds von dem norwegischen König Óláf ein kunstvoll gearbeitetes Schwert als Lohn für ein Preisgedicht, das Hallfreð auf den König gedichtet hatte. Er bekommt das Schwert jedoch ohne Scheide überreicht, mit der Vorgabe, so vorsichtig damit umzugehen, dass er niemandem Schaden zufüge. Erst nach einigen Eskapaden am Königshof schenkt der König ihm demonstrativ die dazugehörige Scheide. Diese Gefolgschaftsgaben im Austausch für Loyalität waren für den Machterhalt der Herrscher in der skandinavischen Wikingerzeit so bedeutend, dass Freigiebigkeit als Tugend eines guten Königs galt; wer seine Gefolgschaft reich beschenkte, hatte viele loyale Krieger und war folglich mächtig. So finden sich in der Dichtkunst der Wikingerzeit viele, auf den ersten Blick überraschende Umschreibungen für ‚Herrscher‘ oder ‚König‘ wie z. B. hoddglǫtuðr, ‚der Schatz-Zerstörer‘ oder hringvarpaðar, ‚der Ring-Werfer‘, die darauf anspielen, dass der ideale Herrscher sein Gefolge üppig beschenkt.