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Mythen und Legenden über weibliche Kriegerinnen - die Amazonen - beflügeln bis heute unsere Phantasie und beeinflussen auch die aktuelle Diskussion um Schildmaiden und Kriegerinnen in der Wikingerzeit.

Der Mythos der Amazonen ist spätestens ab dem 6. Jh. vor Christus in griechischen Schriftquellen und auf Abbildungen überliefert und scheint auf eine Gruppe von reiternomadischen Völkern der Antike zurückzuführen zu sein, die als Skythen bekannt sind. Anthropologische Untersuchungen der letzten Jahre haben zunehmend reiche Bestattungen von Frauen mit Waffen, Reitausrüstung und teilweise in männlicher Tracht zu Tage gebracht. Da einige dieser Frauen auch deutliche Spuren von Gewalteinwirkung im Knochenmaterial aufzeigten, ist davon auszugehen, dass bei den Skythen auch Frauen in den Kampf zogen.

Ein besonders interessanter (Neu-)Fund ist das Grab eines jungen Individuums, das bereits 1988 in Sibirien entdeckt wurde. Aufgrund der Waffen in dem Grab nahm die Wissenschaft jahrzehntelang an, dass es sich bei dem Individuum um einen Jungen handeln würde. Neue aDNA-Analysen haben jetzt jedoch ergeben, dass es sich bei dem jungen Krieger tatsächlich um ein etwa 13 Jahre alte Mädchen handelt.

Der Fund bestätigt die neueren Theorien zu weiblichen Kriegerinnen bei den Skythen und kann möglicherweise auch neue Perspektiven für die schwelende Diskussion um Kriegerinnen in der Wikingerzeit eröffnen.

In der aktuellen Archäologie in Deutschland ist ein Artikel von Leszek Gardeła und mir erschienen, in dem wir Waffensymbole im wikinzerzeitlichen Frauenschmuck diskutieren.

Unter 'Artikel' findet sich nun die Rubrik 'Das Genderverständnis in der Wikingerzeit – Schildmaiden, selbstbestimmte Frauen und rechtlose Sklavinnen?', in der ich Texte und Blogeinträge zu diesen spannenden und in der Forschung wie auch in der Öffentlichkeit heiß diskutierten Themenfeldern sammel.

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Derzeit kursiert wieder einmal ein Bericht über angebliche Belege für kämpfende Frauen in der Wikingerzeit im Internet, dieses Mal beim Focus. In dem Bericht nebst Interview mit der norwegischen Archäologin Marianne Moen von der Universität Oslo, die hauptsächlich zu Gender-Fragen forscht, wird ein waffenführendes Grab aus dem norwegischen Åsnes (Nordre Kjølen) präsentiert. Das verstorbene Individuum in diesem Grab wurde mit einer vollständigen Waffengarnitur - Schwert, Axt, Speer, Schild und Pfeilen - sowie einem aufgezäumten Pferd beigesetzt.

Künstlerische Rekonstruktion des Frauengrabes von Nordre Kjølen.
© Zeichnung Mirosłav Kuźma, Bildrechte Leszek Gardeła, mit freundlicher Genehmigung von L. Gardeła; abgedruckt in: Staecker, Jörn & Toplak, Matthias S. (Hrsg.), 2019, Die Wikinger. Entdecker und Eroberer, Berlin: Ullstein Buchverlage/Propyläen Verlag, Abb. 25.

Bereits die anthropologischen Untersuchungen des Skeletts im Anschluss an die Ausgrabung zu Beginn des 20. Jh. hatten vermuten lassen, dass es sich um eine Frau handelte. Die Tote war recht jung verstorben und mit einer Körpergröße von etwa 150 cm und einem Gewicht von nicht mehr als 40 kg auch für damalige Zeiten sehr grazil (zum Vergleich, die Durchschnittsgröße in der skandinavischen Wikingerzeit lag bei etwa 172-176 cm für Männer und 160-165 cm bei Frauen).

Mit Sicherheit ist die Bestattung beim aktuellen Forschungsstand extrem außergewöhnlich. Gemeinsam mit dem berühmten Kammergrab Bj 581 von Birka handelt es sich um eines der beiden derzeit bekannten Gräber aus der skandinavischen Wikingerzeit, in denen Frauen mit einer vollen Waffengarnitur beigesetzt wurden. Anders als bei Bj 581 wurden im Grab von Nordre Kjølen jedoch keine Trachtelemente gefunden, die darauf hinweisen, ob die Verstorbene in Frauenkleidung oder wie bei Bj 581 in Männertracht beigesetzt wurde.

In dem aktuellen Focus-Artikel wird nun jedoch ausgehend von einer Gesichtsverletzung der Toten behauptet, dass dieses Grab als Beleg dafür gesehen werden könne, dass auch Frauen in der Wikingerzeit Waffen geführt und mit den Männern gekämpft hätten. Interessanterweise stammt diese Behauptung jedoch nicht von Marianne Moen, die nur aussagt, dass die Frau von Nordre Kjølen einen 'Kriegerstatus' und die Befugnis und Fähigkeiten zum Führen gehabt habe. Die mögliche symbolische Bedeutung von Waffen in Frauengräbern haben mein guter Freund und Kollege Leszek Gardeła und ich im Kontext des Grabes der 'Birka-Kriegerin' intensiv in dem Buch 'Die Wikinger. Entdecker und Eroberer' in Kapitel 3.1 ("Walküren und Schildmaiden. Weibliche Krieger?", S. 137–151) diskutiert.

Wie auch bei dem Grab von Birka ist nicht auszuschließen, dass diese Waffen durchaus auf eine konkrete soziale (oder sogar militärische?) Rolle der Frau zu Lebzeiten hindeuten, als wichtige sozio-politische (militärische?) Führungsperson der lokalen Gemeinschaft. Über die Frage, wie sie zu dieser Stellung gekommen ist, lässt sich nur spekulieren. Die oftmals angeführte These, dass sie als einziger Nachkomme des lokalen Häuptlings die Rolle eines männlichen Erbens übernehmen musste, kann durch ethnologische und historische Parallelbefunde unterstützt werden. Allerdings stellt sich dann auch zwangsläufig die Folgefrage, warum aus der skandinavischen Wikingerzeit bislang nur zwei solcher Fälle bekannt sind.

Zudem fällt bei dem Grab von Nordre Kjølen auf, dass das Schwert mit der Spitze zum Kopf neben der Toten deponiert wurde und nicht - wie sonst üblich - mit dem Griff. Gemeinsam mit der Tatsache, dass das Schwert auf der linken Seite der Toten liegt - ebenso wie auch bei dem Grab von Birka - deutet das der überzeugenden Theorie von Leszek Gardeła nach darauf hin, dass die Waffen nicht als Kriegsausrüstung der Frau(en) zu interpretieren sind.

Eine tatsächliche Beteiligung am Kampf - wie der Focus-Artikel nun suggeriert - kann in meinen Augen jedoch gänzlich verworfen werden. Die angeführte verheilte Gesichtsverletzung der Toten von Nordre Kjølen, die als Schwertwunde interpretiert wird, ist eindeutig eine Impressionsfraktur von einem stumpfen Gegenstand und keinesfalls ein gerader Schnitt/Hieb von einer Schwertklinge. Dies lässt sich unschwer aus der beim Focus abgebildeten Gesichtsrekonstruktion wie auch an dem im Kulturhistorische Museum (KHM) in Oslo ausgestellten Schädel der Toten erkennen.

Zudem ist eine effektive Beteiligung der Frau von Nordre Kjølen am Kampf Mann gegen Mann meiner Meinung nach aufgrund ihrer körperlichen Konstitution schlicht nicht möglich. Mit 150 cm Körpergröße und 40 kg Gewicht war sie männlichen Gegner körperlich drastisch unterlegen und es ist fraglich, ob sie ein schweres Schwert oder die Axt überhaupt hätte führen können. Ich habe als seit Jahrzehnten aktiver Kampfsportler in verschiedensten Disziplinen - von Muay Thai über historisches Fechten (HEMA) bis hin zu Reenactment-Fechten im Neustadt-Glewe-/Wolin-Stil - die Erfahrung machen müssen, dass körperliche Überlegenheit ein nicht zu vernachlässigender relevanter Aspekt ist. In vielen Kampfsportarten bzw. beim Fechten geht es in der sportlichen Auseinandersetzung viel um Technik, Geschwindigkeit und Erfahrung, so dass eine zierliche Frau wie die Tote aus Nordre Kjølen bei entsprechendem Können durchaus auch größere und kräftigere Männer besiegen kann. Beim ernsthaften Kampf mit Schwert und Schild - sei es im Schildwall oder im Zweikampf - halte ich auch aufgrund meiner persönlichen Erfahrung die körperlichen Unterschiede jedoch für zu gravierend. Eine dermaßen zarte, kleine Frau würde schlicht überrannt werden ohne eine ersthafte Chance zur Gegenwehr.

Das Grab von Nordre Kjølen ist sicherlich ein neues und wichtiges Puzzle-Teil in dem großen Bild der Wikingerzeit, das uns zwingt, die Rolle der Frau und das Genderverständnis der Wikinger neu zu überdenken. Aber es ist kein Beleg für eine aktive Rolle von Frauen als Kriegerinnen im Kampf!

Mehr Informationen zu Walküren, Schildmaiden und Frauen mit Waffen gibt es in dem bereits erwähnten Kapitel von Leszek und mir: Leszek Gardeła, Matthias Toplak, Walküren und Schildmaiden. Weibliche Krieger?, in: Jörn Staecker, Matthias Toplak (Hrsg), 2019, Die Wikinger. Entdecker und Eroberer, Berlin: Ullstein Buchverlage/Propyläen Verlag, S. 137–151.

Zudem möchte ich Leszeks Forschung zu diesem Thema empfehlen: In seinem Projekt 'Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature' präsentiert er in einer inzwischen ganzen Reihe von Aufsätzen sowie in einem bald erscheinenden Buch die neueste Forschung und seine Perspektive zu diesem Thema. Leszeks Publikationen lassen sich online bei Academia.edu herunterladen.

Heute einmal eine Nachricht aus dem eigenen Hause: Meine Kollegen im Projekt B06 des SFB 1070 – Dr. Laura Maravall Buckwalter und Prof. Dr. Jörg Baten – haben in einem nun veröffentlichten Aufsatz anhand der Auswertung von Zähnen wikingerzeitlicher Skelette nachgewiesen, dass Mädchen und Frauen in der skandinavischen Wikingerzeit eine ebenso gute Ernährung und hygienische Versorgung erhielten, wie Jungen und Männer. Das deutliche Fehlen von sogenannten linearen Schmelzhypoplasien – sichtbare Strukturschäden der Zähne aufgrund von Mangelernährung und fehlender Hygiene – kann als finaler naturwissenschaftlich-medizinischer Beleg für die in der Archäologie schon lange postulierte These einer hohen sozialen Stellung von Mädchen und Frauen in der Gesellschaft der skandinavischen Wikingerzeit gewertet werden. Die Pressemeldung der Universität Tübingen gibt es hier.

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Eine Auswertung der Grabinventare von über 200 wikingerzeitlichen Bestattungen aus der norwegischen Provinz Vestfold durch die Archäologin Marianne Moen hat ergeben, dass ebenso viele Männer wie Frauen mit Kochutensilien beigesetzt worden sind. Diesen Befund nimmt Moen als Anlass, die bislang angenommene starke Gender-Dichotomie in der altnordischen Gesellschaft zu hinterfragen und den häuslichen Aspekt des wikingerzeitlichen Alltagslebens mehr als genderübergreifend zu deuten. Gerade die Diskussion um das Birka-Grab Bj 581 und die Frage nach waffentragenden Frauen in der Wikingerzeit haben aufgezeigt, dass die bisherigen Vorstellungen der genderspezifischen Rollen der skandinavischen Wikingerzeit nochmals kritisch und ergebnisoffen reevaluiert werden müssen. Und darin schließt sich sicherlich auch der für den wikingerzeitlich kulturell hoch bedeutsamen Aspekt der Gastfreundschaft relevante Befund zu den Kochutensilien an. Allerdings muss auch hier - wie schon bei Waffen in Frauengräbern - immer mit berücksichtigt werden, dass Gräber keinesfalls die alltägliche Lebensrealität abbilden müssen und Kochzubehör, ebenso wie Waffen oder Landwirtschaftsgeräte auch als eine symbolische Ausstattung des/der Verstorbenen fungiert haben können.

In einem wikingerzeitlichen Kammergrab auf der dänischen Insel Langeland wurde den Forschungen meines guten Freundes und geschätzten Kollegens Leszek Gardeła zufolge eine Frau slawischer Herkunft bestattet. Das Grab enthielt unter anderem eine Axt und wirft neues Licht auf die Präsenz - und vor allem die Bedeutung - von Slawen in der skandinavischen Gesellschaft der Wikingerzeit.

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In der neuen Ausgabe der Archäologie in Deutschland ist auf Seite 74 eine kurze Richtigstellung bzw. Re-Evaluation des waffenführenden Frauengrabes von Birka (Bj 581) von mir abgedruckt. Die kurze Mitteilung basiert weitestgehend auf der bereits in meinem Blog veröffentlichten Meldung, in der ich - basierend auf der zweiten Publikation des schwedischen Forscherteams rund um Charlotte Hedenstierna-Jonson und Anna Kjellström - meine kritische Sichtweise auf die Ergebnisse zum Grab Bj 581 mit der "Kriegerin" von Birka revidieren musste.

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Kaum ein Forschungsergebnis der letzten Jahrzehnte hat in der wissenschaftlichen Welt der wikingerzeitlichen Archäologie wie auch in der populären Wahrnehmung dermaßen für Aufsehen, fachliche Diskussionen und offenen Streit gesorgt, wie der im Sommer 2017 publizierte Artikel eines schwedischen Forscherteams zu der sogenannten ‚Kriegerin von Birka‘. Basierend auf aDNA-Untersuchungen postulierten die Forscher, dass in einem der herausragendsten und reich mit Waffen ausgestatteten Kammergrab Bj 581 auf dem Gräberfeld der Handelssiedlung von Birka in Schweden eine Frau bestattet worden war, die aufgrund der Beigaben als Kriegerin zu deuten sei.

Eine Welle von Euphorie und Kritik

Während dieser Befund in den Medien und dem öffentlichen Diskurs in den sozialen Netzwerken eine einzigartige und zumeist euphorische Resonanz erhielt, als finaler Beleg für die schon immer vermutete Existenz der derzeit dank Vikings so populären Schildmaiden, reagierten weite Teile der Fachwelt zurückhaltend bis kritisch. Ich selber habe mich in meinem Blog wie auch in einem Artikel in der ‚Archäologie in Deutschland‘ ebenfalls skeptisch zu den Ergebnissen geäußert. Zentraler Punkt meiner Zweifel war die Quellenkritik; die schwedischen Forscher äußerten sich in ihrem ersten, äußerst kurzen und rein naturwissenschaftlich gehaltenen, nur acht Seiten umfassenden Artikel überhaupt nicht zu der Frage nach der korrekten Zuordnung der getesteten Knochen. Das Knochenmaterial von Birka ist nachweislich in vielen Fällen seit der Ausgrabung Ende des 19. Jh. durch viele Umlagerungen durcheinandergekommen und eine anthropologische Auswertung war in den 1980er-Jahren aus diesen Gründen aufgegeben worden.

Die Birka-Kriegerin, Teil II – Die nötigen Hintergrundinformationen

In einem neuen und wesentlich umfangreicheren Aufsatz, der vor wenigen Tagen erschienen ist, gehen die Forscher rund um Neil Price und Charlotte Hedenstierna-Jonson erstmals auf Kritik und Fragen zu ihrem Vorgehen ein. Intensiv präsentieren sie auf dem 18-seitigen Artikel sowie in einem 29-seitigen Anhang dazu ihr methodisches Vorgehen und diskutieren erstmals auch detailliert unter Berücksichtigung der relevanten Theorien ihre Interpretation der naturwissenschaftlichen Ergebnisse.

Auf insgesamt acht Seiten (leider erst im Anhang zum eigentlichen Artikel) dokumentieren die Forscher dabei die Zuordnung der beprobten Knochen zum Kammergrab Bj 581. In ihrer Argumentation widerlegen sie einige lange innerhalb der schwedischen Archäologie tradierte Aussagen über den Zustand der Knochen aus Bj 581 und belegen – in meinen notorisch skeptischen Augen – ohne jeden Zweifel, dass die sicher per aDNA-Analyse als weiblich bestimmte Knochen aus diesem Kammergrab stammen. Ich war persönlich sehr davon überzeugt, dass die Zuordnung der Knochen nicht mehr zweifelsfrei möglich nachzuweisen wäre (ich kenne den Zustand des Knochenmaterials aus meiner Zeit im SHM aus eigener Anschauung). In der neuen Publikation wird die Herkunft der Knochen jedoch so detailliert belegt, dass dies in jedem anderen Fall – wenn es also nicht um den ersten Nachweis einer Frau in einem ‚Kriegergrab‘ ginge – als absolut sicher gelten würde. Damit bleibt aus wissenschaftlicher Sicht nichts anderes übrig, als die Ergebnisse der schwedischen Forscher als korrekt zu akzeptieren, in dem Kammergrab Bj 581 wurde eine Frau bestattet!

Mein zweiter Kritikpunkt war die Interpretation einer möglichen Frauenbestattung mit Waffen als ‚Kriegerin‘. Wie mehrfach von mir an verschiedenen Stellen angeführt, stellen Gräber keinen ‚Spiegel des Lebens‘ dar, in denen die Lebensrealität präsentiert wird. Es lassen sich Dutzende von Beispiele anführen, in denen die Beigabe von Waffen nicht mit der tatsächlichen sozialen Rolle zu Lebzeiten übereinstimmt, bspw. kleine Jungen mit Waffen oder Männer, die an ihren Knochen keinerlei Anzeichen für eine ausgeprägte Muskulatur aufweisen, die bei einer tatsächlichen Aktivität als Krieger zu erwarten wären.

Diesen Kritikpunkt kann auch die neue Veröffentlichung nicht gänzlich ausräumen, auch wenn die Forscher nun erstmals detailliert auf diese Problematik und die Theorien zur ‚burial archaeology‘ eingehen. Allerdings belegen sie durch eine intensive Diskussion des Befundes von Bj 581 die außergewöhnliche Stellung, welche die darin bestattete Frau in der Gesellschaft von Birka innegehabt haben muss. Das Kammergrab ist nicht nur durch die Beigabe eines vollständigen Waffensets und die reiche, durch östliche, steppennomadische Einflüsse geprägte Tracht herausragend, sondern auch durch seine exponierte Lage in unmittelbarer Nähe einer großen Halle, die aufgrund der vielen Funde von Kriegerausrüstung als Garnison zu deuten ist.

Ich bin weiterhin der Meinung, dass die konkrete Ansprache der Toten als ‚cavalry commander‘ aufgrund der Beigabe von einem Brettspiel nebst Spielsteinen und der prestigeträchtigen Kleidung (zugegeben, diese Interpretation geht auf Inga Hägg zurück und stammt aus einer Zeit vor der neuen Geschlechtsbestimmung) eine deutliche Überinterpretation bzw. ein falscher Zirkelschluss ist. Spielsteine treten in meinen Augen in Elitenbestattungen auf, weil sie Teil des Lebensstils der lokalen Eliten sind. Sie sind damit gewissermaßen eine Voraussetzung für eine militärische Rolle, weil die Zugehörigkeit zur Elite Voraussetzung für militärische Führerschaft ist, nicht weil Spielsteine eine militärische Funktion bedingen. Anders ausgedrückt, ein Individuum mit Spielsteinen im Grab gehört zweifelsohne zur sozialen Elite, ohne zwangsläufig aktiv eine militärische Funktion ausgeübt zu haben.

Dennoch argumentiert das schwedische Forscherteam schlüssig, dass auch die Tote in Bj 581 in enger Assoziation nicht nur zur lokalen Elite in Birka, sondern auch zu der deutlich dominanten Sphäre der Krieger gehört zu haben scheint. Ausgehend von der generellen Skepsis zur Aussagekraft von Bestattungen als Inszenierungen einer sozialen Persönlichkeit kann weiterhin diskutiert werden, aus welchem Grund die Frau als Krieger inszeniert bestattet wurde, und wie ihre tatsächliche Funktion in der sozialen Lebensrealität ausgesehen hat. In dem neuen Aufsatz wird jedoch nicht gänzlich zu Unrecht Ockhams Rasiermesser angeführt; würde es sich bei dem Individuum um einen Mann handeln, wäre wohl jeder aufgrund der Fülle von Hinweisen sofort bereit zu akzeptieren, dass es sich bei dem Toten um einen hochrangigen Krieger – vielleicht tatsächlich einen Heerführer – gehandelt hat. Und genau dies tat die Forschung auch für über hundert Jahre, wie das Forscherteam vollkommen zu Recht anmerkt.

Kriegerinnen in der Wikingerzeit?

Wie also nun umgehen mit diesem Befund? Trotz aller Skepsis meinerseits bleibt mir als Wissenschaftler nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass im Kammergrab Bj 581 von Birka eine biologische Frau als hochrangiger Krieger bestattet wurde. Alle meine Kritikpunkte, die ich – nach wie vor in meinen Augen vollkommen zu Recht – nach der Veröffentlichung des ersten Artikels angeführt habe, sind in der neuen Publikation diskutiert und überzeugend zurückgewiesen worden. Was bedeutet das nun für unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit und dem Mythos der berühmten Schildmaiden? Bisher ist Bj 581 in dieser Deutlichkeit ein Einzelfall. Es gibt eine Handvoll sicherer Frauengräber, in denen einzelne Waffen – zumeist Äxte – liegen (mein Kollege und guter Freund Leszek Gardeła hat viel dazu gearbeitet und forscht derzeit in seinem ‚Amazons of the North‘-Projekt zu dieser Fragestellung) und ein oder zwei derzeit bekannte unsichere Fälle von Gräbern mutmaßlicher Frauen mit voller Bewaffnung. Lässt man die altnordische Sagaliteratur als nicht wirklich verlässliche Quelle für die Wikingerzeit außer Acht, bleiben einige wenige historische Berichte über Frauen im Kontext von wikingerzeitlichen Kriegszügen (am deutlichsten vermutlich bei dem byzantinischen Geschichtsschreiber John Skylitzes, der von gerüsteten Frauen unter den Gefallenen nach einer Schlacht mit den Rus berichtet). Nicht zuletzt durch den neuen Befund von Bj 581 müssen wir diese Überlieferungen wohl reevaluieren und die Möglichkeit ernst nehmen, dass tatsächlich Frauen in der Wikingerzeit in Einzelfällen auch als Kriegerinnen gekämpft haben. In welchem Umfang und unter welchen sozialen Bedingungen dies stattfand, lässt sich beim derzeitigen Forschungsstand noch nicht wissenschaftlich klären. Sollte es sich bei der Kriegerin aus Bj 581 jedoch nicht um einen singulären Befund gehandelt haben, der daher keine Rolle für das generelle Verständnis von Gender und Rollenmodellen in der Wikingerzeit spielt, werden auch zwangsläufig in Zukunft mit neuen naturwissenschaftlichen Analysen von wikingerzeitlichen Bestattungen auch weitere Frauengräber mit Waffen entdeckt werden und uns erlauben, unser Bild von der Rolle der Frau in der Wikingerzeit zu rekonstruieren.

Eines zeigt der Fall ‚Bj 581‘ allerdings deutlich, Archäologie ist und bleibt spannend und zwingt uns immer wieder, liebgewonnene Gewissheiten über Bord zu werfen.

In der NZZ ist ein spannender Bericht über den Mythos Wikinger und das moderne Nachleben der Wikingerzeit erschienen, mit einem Interview mit meiner Kollegin Dr. Katharina Nordström.