Bei Ausgrabungen des Universitätsmuseums Bergen sind bei Ose in Ørsta, Sunnmøre, Norwegen, die Spuren eines vendel- und wikingerzeitlichen heidnischen Kulthauses zum Vorschein gekommen.
Das Gebäude maß 14 Meter in der Länge und 7–8 Meter in der Breite und war mutmaßlich etwa 10 Meter hoch mit einer quadratischen Pfostensetzung in der Mitte, die auf einen Turm hindeuten kann. Zudem wurden Spuren von zwei großen Feuerstellen innerhalb des Gebäudes entdeckt.
Bislang wurden noch keine aussagekräftigen Funde entdeckt, die eine Deutung als Kulthaus stützen können, aber die Form der Halle von Ose mit der zentralen quadratischen Pfostensetzung ähnelt markant den Baustrukturen der (wenigen) bislang bekannten mutmaßlichen Kulthäuser wie bspw. in Uppåkra beim schwedischen Lund.
Lange Zeit dominierte sowohl in der Forschung wie auch in der populären Rezeption die Vorstellung, dass religiöse Handlungen in der Wikingerzeit ausschließlich unter freiem Himmel stattfanden – ein Erbe der arg romantisierenden ‚Germanen‘-Forschung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Neuere archäologische Funde – wie nun möglicherweise eben auch bei Ose – belegen jedoch, dass die Wikinger tatsächlich Kultbauten – ‚Tempel‘ – für Opferzeremonien errichteten.
Bei Lunda in Södermanland, zur Wikingerzeit Teil des Reiches der Svear, wurde ein großes Hallengebäude entdeckt, das vermutlich Sitz des lokalen Herrschers war. Daneben stand ein kleineres Gebäude, das offensichtlich ein Kulthaus – ein Tempel – gewesen war. In und vor dem Gebäude wurden bei Ausgrabungen drei kleine Figurinen gefunden, die nackte Männer mit erigierten Penissen darstellten. Zwei dieser Figuren waren aus vergoldeter Bronze und das dritte Exemplar aus purem Gold. Ob es sich bei den Figurinen um Götterdarstellungen – vielleicht alle drei von Freyr – oder um Weihe- bzw. Opfergaben handelt, bleibt unklar. Mit Sicherheit sind sie aber in Verbindung zu einem Fruchtbarkeitskult zu sehen. Etwa hundert Meter von dem kleinen Kultgebäude entfernt wurden auf einem Hügelkamm die Reste eines Opferplatzes mit verbrannten Knochen gefunden, bei dem es sich nach Meinung des Ausgräbers um den heiligen Hain handelt, auf den bereits der Ortsname Lunda („Hain“) anspielt.
Auch aus Uppåkra – als Vorgänger des südschwedischen Lund von den ersten nachchristlichen Jahrhunderten bis zur Wikingerzeit ein weiterer politischer, administrativer und auch kultischer Zentralplatz – ist ein Kulthaus bekannt. Das Gebäude war annähernd 14 Meter lang, in Stabbauweise konstruiert und nach Aussage der stabilen dachtragenden Pfostenlöcher ungewöhnlich hoch. Während Aufbau und Form des Gebäudes nahezu identisch zu den späteren, frühchristlichen Stabkirchen sind, deuten die Funde aus dem Inneren auf eine kultische Funktion hin. Über 100 kleine, etwa daumennagelgroße Goldbleche mit stilisierten Menschenabbildungen (so genannte guldgubbar) wurden in den Pfostenlöchern gefunden und waren vermutlich ursprünglich an den Dachpfosten befestigt. Die genaue Bedeutung dieser guldgubbar, von denen aus ganz Skandinavien bislang über 3.000 Exemplare bekannt sind, ist bis heute nicht eindeutig geklärt, vermutlich werden sie aber als Votivgaben in den Tempel gelangt sein. Außerhalb des Gebäudes fanden sich eine hohe Anzahl von Speer- und Lanzenspitzen, Schildbuckeln sowie einigen anderen Waffen. Die Deponierung dieser Waffen lässt die Ausgräber vermuten, dass eine große Anzahl Speere und Schilde – vielleicht als Dekoration an den Wänden – in dem Gebäude verwahrt worden waren. Damit entsteht ein Bild eines Kultgebäudes, das frappierend an die Beschreibungen von Walhalla in der späteren altnordischen Mythologie erinnert – der Halle, in welcher der oberste Gott Odin die im Kampf gefallenen Krieger um sich versammelt, die Pfosten im Lichte des Feuers aufgrund der daran befestigten Goldbleche golden schimmernd und die Wände und vielleicht auch die Decke geschmückt mit Schilden und Speeren.
Neben diesen beiden Beispielen für Gebäude, die speziell für die Ausübung des heidnischen Kultes errichtet und verwendet wurden und damit am ehesten dem Begriff ‚Tempel‘ entsprechen, lassen sich auch bei einer Reihe von Hallengebäuden in den Herrschaftssitzen archäologische Belege für rituelle Handlungen nachweisen, z. B. in Mære in Norwegen, Borg auf den Lofoten oder Hofstaðir auf Island. Die großen Hallen der Häuptlinge oder Kleinkönige waren eine Mischung aus politischem, sozialem und auch kultischem Zentrum. Da in der Wikingerzeit wahrscheinlich keine eigene Priesterklasse existierte, wurden die rituellen Handlungen bei Opferfeierlichkeiten durch die jeweils oberste Instanz – das Familienoberhaupt, den lokalen Häuptling oder den König – ausgeführt, denen auch die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Gefolgsleute oblag. Unter bestimmten Umständen, über die wir heute nur noch spekulieren können, fanden diese Kulthandlungen mitunter auch in der großen Halle statt, die sonst der Herrschaftsrepräsentation diente.