Springe zum Inhalt

1

Derzeit kursiert wieder einmal ein Bericht über angebliche Belege für kämpfende Frauen in der Wikingerzeit im Internet, dieses Mal beim Focus. In dem Bericht nebst Interview mit der norwegischen Archäologin Marianne Moen von der Universität Oslo, die hauptsächlich zu Gender-Fragen forscht, wird ein waffenführendes Grab aus dem norwegischen Åsnes (Nordre Kjølen) präsentiert. Das verstorbene Individuum in diesem Grab wurde mit einer vollständigen Waffengarnitur - Schwert, Axt, Speer, Schild und Pfeilen - sowie einem aufgezäumten Pferd beigesetzt.

Künstlerische Rekonstruktion des Frauengrabes von Nordre Kjølen.
© Zeichnung Mirosłav Kuźma, Bildrechte Leszek Gardeła, mit freundlicher Genehmigung von L. Gardeła; abgedruckt in: Staecker, Jörn & Toplak, Matthias S. (Hrsg.), 2019, Die Wikinger. Entdecker und Eroberer, Berlin: Ullstein Buchverlage/Propyläen Verlag, Abb. 25.

Bereits die anthropologischen Untersuchungen des Skeletts im Anschluss an die Ausgrabung zu Beginn des 20. Jh. hatten vermuten lassen, dass es sich um eine Frau handelte. Die Tote war recht jung verstorben und mit einer Körpergröße von etwa 150 cm und einem Gewicht von nicht mehr als 40 kg auch für damalige Zeiten sehr grazil (zum Vergleich, die Durchschnittsgröße in der skandinavischen Wikingerzeit lag bei etwa 172-176 cm für Männer und 160-165 cm bei Frauen).

Mit Sicherheit ist die Bestattung beim aktuellen Forschungsstand extrem außergewöhnlich. Gemeinsam mit dem berühmten Kammergrab Bj 581 von Birka handelt es sich um eines der beiden derzeit bekannten Gräber aus der skandinavischen Wikingerzeit, in denen Frauen mit einer vollen Waffengarnitur beigesetzt wurden. Anders als bei Bj 581 wurden im Grab von Nordre Kjølen jedoch keine Trachtelemente gefunden, die darauf hinweisen, ob die Verstorbene in Frauenkleidung oder wie bei Bj 581 in Männertracht beigesetzt wurde.

In dem aktuellen Focus-Artikel wird nun jedoch ausgehend von einer Gesichtsverletzung der Toten behauptet, dass dieses Grab als Beleg dafür gesehen werden könne, dass auch Frauen in der Wikingerzeit Waffen geführt und mit den Männern gekämpft hätten. Interessanterweise stammt diese Behauptung jedoch nicht von Marianne Moen, die nur aussagt, dass die Frau von Nordre Kjølen einen 'Kriegerstatus' und die Befugnis und Fähigkeiten zum Führen gehabt habe. Die mögliche symbolische Bedeutung von Waffen in Frauengräbern haben mein guter Freund und Kollege Leszek Gardeła und ich im Kontext des Grabes der 'Birka-Kriegerin' intensiv in dem Buch 'Die Wikinger. Entdecker und Eroberer' in Kapitel 3.1 ("Walküren und Schildmaiden. Weibliche Krieger?", S. 137–151) diskutiert.

Wie auch bei dem Grab von Birka ist nicht auszuschließen, dass diese Waffen durchaus auf eine konkrete soziale (oder sogar militärische?) Rolle der Frau zu Lebzeiten hindeuten, als wichtige sozio-politische (militärische?) Führungsperson der lokalen Gemeinschaft. Über die Frage, wie sie zu dieser Stellung gekommen ist, lässt sich nur spekulieren. Die oftmals angeführte These, dass sie als einziger Nachkomme des lokalen Häuptlings die Rolle eines männlichen Erbens übernehmen musste, kann durch ethnologische und historische Parallelbefunde unterstützt werden. Allerdings stellt sich dann auch zwangsläufig die Folgefrage, warum aus der skandinavischen Wikingerzeit bislang nur zwei solcher Fälle bekannt sind.

Zudem fällt bei dem Grab von Nordre Kjølen auf, dass das Schwert mit der Spitze zum Kopf neben der Toten deponiert wurde und nicht - wie sonst üblich - mit dem Griff. Gemeinsam mit der Tatsache, dass das Schwert auf der linken Seite der Toten liegt - ebenso wie auch bei dem Grab von Birka - deutet das der überzeugenden Theorie von Leszek Gardeła nach darauf hin, dass die Waffen nicht als Kriegsausrüstung der Frau(en) zu interpretieren sind.

Eine tatsächliche Beteiligung am Kampf - wie der Focus-Artikel nun suggeriert - kann in meinen Augen jedoch gänzlich verworfen werden. Die angeführte verheilte Gesichtsverletzung der Toten von Nordre Kjølen, die als Schwertwunde interpretiert wird, ist eindeutig eine Impressionsfraktur von einem stumpfen Gegenstand und keinesfalls ein gerader Schnitt/Hieb von einer Schwertklinge. Dies lässt sich unschwer aus der beim Focus abgebildeten Gesichtsrekonstruktion wie auch an dem im Kulturhistorische Museum (KHM) in Oslo ausgestellten Schädel der Toten erkennen.

Zudem ist eine effektive Beteiligung der Frau von Nordre Kjølen am Kampf Mann gegen Mann meiner Meinung nach aufgrund ihrer körperlichen Konstitution schlicht nicht möglich. Mit 150 cm Körpergröße und 40 kg Gewicht war sie männlichen Gegner körperlich drastisch unterlegen und es ist fraglich, ob sie ein schweres Schwert oder die Axt überhaupt hätte führen können. Ich habe als seit Jahrzehnten aktiver Kampfsportler in verschiedensten Disziplinen - von Muay Thai über historisches Fechten (HEMA) bis hin zu Reenactment-Fechten im Neustadt-Glewe-/Wolin-Stil - die Erfahrung machen müssen, dass körperliche Überlegenheit ein nicht zu vernachlässigender relevanter Aspekt ist. In vielen Kampfsportarten bzw. beim Fechten geht es in der sportlichen Auseinandersetzung viel um Technik, Geschwindigkeit und Erfahrung, so dass eine zierliche Frau wie die Tote aus Nordre Kjølen bei entsprechendem Können durchaus auch größere und kräftigere Männer besiegen kann. Beim ernsthaften Kampf mit Schwert und Schild - sei es im Schildwall oder im Zweikampf - halte ich auch aufgrund meiner persönlichen Erfahrung die körperlichen Unterschiede jedoch für zu gravierend. Eine dermaßen zarte, kleine Frau würde schlicht überrannt werden ohne eine ersthafte Chance zur Gegenwehr.

Das Grab von Nordre Kjølen ist sicherlich ein neues und wichtiges Puzzle-Teil in dem großen Bild der Wikingerzeit, das uns zwingt, die Rolle der Frau und das Genderverständnis der Wikinger neu zu überdenken. Aber es ist kein Beleg für eine aktive Rolle von Frauen als Kriegerinnen im Kampf!

Mehr Informationen zu Walküren, Schildmaiden und Frauen mit Waffen gibt es in dem bereits erwähnten Kapitel von Leszek und mir: Leszek Gardeła, Matthias Toplak, Walküren und Schildmaiden. Weibliche Krieger?, in: Jörn Staecker, Matthias Toplak (Hrsg), 2019, Die Wikinger. Entdecker und Eroberer, Berlin: Ullstein Buchverlage/Propyläen Verlag, S. 137–151.

Zudem möchte ich Leszeks Forschung zu diesem Thema empfehlen: In seinem Projekt 'Amazons of the North? Armed Females in Viking Archaeology and Medieval Literature' präsentiert er in einer inzwischen ganzen Reihe von Aufsätzen sowie in einem bald erscheinenden Buch die neueste Forschung und seine Perspektive zu diesem Thema. Leszeks Publikationen lassen sich online bei Academia.edu herunterladen.

Im mittelnorwegischen Trøndelag wurden im Oktober zwei aufsehenerregende Bootsgräber der Wikingerzeit entdeckt, wie das NTNU University Museum in Trondheim nun bekannt gegeben hat. Bei der älteren Bestattung aus dem 8. Jh. - also dem Übergang zwischen der Vendel- und der Wikingerzeit - handelt es sich um das Grab eines Mannes, der mit seinen Waffen in einem 9-10 Meter langen Boot unter einem Grabhügel bestattet wurde. Über hundert Jahre später wurde der Grabhügel in der zweiten Hälfte des 9. Jh. wieder geöffnet und eine zweite Bestattung in einem Boot sorgfältig in dem ausgegrabenen älteren Bootsgrab niedergelegt. Diesmal handelte es sich um eine Frau, die mit reinen Schmuckbeigaben aus vergoldeter Bronze in einem etwas kleineren Boot beigesetzt wurde.

Nachbestattungen in älteren Grabhügeln oder sogar konkret in den älteren Gräbern sind nichts Ungewöhnliches in der Wikingerzeit und können sowohl im Abstand von wenigen Jahren wie auch im Abstand von mehreren Jahrhunderten vorkommen. Die Niederlegung eines Grabbootes in ein älteres Bootsgrab ist jedoch ein bislang kaum bekanntes Phänomen. Die Bedeutung dieser Handlung ist unklar. Vermutlich sollte durch die zweite Bestattung in dem Grab die Verwandtschaft der Frau mit dem ursprünglich dort bestatteten Mann hervorgehoben werden, um durch diese Familientradition einen besonderen Machtanspruch zu verdeutlichen. Möglich wäre aber auch, dass es zwischen den beiden Bestattungen zu einem sozio-politischen Umsturz kam und die neuen Machthaber durch diese Bestattung die früheren Herrscher symbolisch unter sich begraben wollten. Auf eine Klärung dieser Frage lassen aDNA- und Strontiumisotopenanalysen an den allerdings nur sehr schlecht erhaltenen Knochen hoffen.

Ein deutscher Artikel zu dem Fund ist in den 'Stuttgarter Nachrichten' erschienen, garniert mit Ausschnitten aus einem längeren Interview mit mir.

In der Wochenendbeilage der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten vom gestrigen Freitag ist ein längerer Beitrag zu den Wikingern und dem Wikinger-Buch abgedruckt, der auf einem Interview mit mir basiert. Der Beitrag lässt sich hier und hier online abrufen.

Es gibt bereits die ersten Meldungen und Rezensionen zum Buch 'Die Wikinger. Entdecker und Eroberer'.

Die Leipziger Internet Zeitung beschreibt das Buch als "systematisches Aufräumen mit einem Seeräubermythos".

Das Online-Portal 'Glaube im Netz' schreibt, dass das Buch "ein zunehmend komplexeres und immer wieder überraschendes Bild davon zeichnet, wie die Lebenswirklichkeit der Wikinger tatsächlich aussah."

Und das Programm 'B5 aktuell' vom RB empfiehlt 'Die Wikinger' als Buchtipp, in dem gründlich mit dem klassischen Mythos aufgeräumt wird.

Weitere Meldungen, Interviews und Berichte werden in Kürze folgen.

Leider ist beim Druck des Buches ein Fehler passiert. Zwei wichtige Karten, die im Vor- und Nachsatz des Buches die wikingerzeitliche Welt und den beeindruckenden Aktionsradius der Wikinger veranschaulichen sollten und extra nach meinen Vorgaben für dieses Buch angefertigt wurden, sind in der ersten Auflage leider nicht gedruckt worden. Im ebook wie auch in der nächsten Auflage werden beide Karten dann aber enthalten sein.

Dankenswerterweise haben sowohl Herr Peter Palm, der alle Karten im Buch erstellt hat, wie auch der Ullstein Buchverlag mir die Erlaubnis gegeben, die beiden fehlenden Karten hier online zur Verfügung zu stellen.

Beide Karten können zudem hier und hier heruntergeladen werden.