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Thorshämmer nur in Frauengräbern? Zu einer ewig wiederkehrenden Unwahrheit

In der Reenactment-/Living History-Szene und unter so manchen Wikinger-Fans hält sich seit Jahren hartnäckig die Aussage, dass Thorshämmer – kleine Amulette zumeist aus Edelmetall in Form eines Hammers, die als Symbol des Donnergottes Thor zu deuten sind – ausschließlich von Frauen getragen wurden. Diese Aussage wird selbst von ausgebildeten Archäologen regelmäßig vertreten. Da sie vor allem in politischen Kontexten auftritt, erscheint der Sinn hinter diesem Mantra eindeutig: Der rechten Szene soll ein beliebtes Symbol madig gemacht werden, indem man den so populären und als Symbol für Stärke, Männlichkeit und Kampfeskraft gedeuteten Thorshammer zu einem reinen Frauensymbol umdeutet. Nur weil eine Aussage aber einen durchaus hehren Zweck verfolgt – nämlich ein zentrales und auch von vielen unpolitischen Menschen getragenes Symbol den Rechten zu nehmen – wird sie dadurch aber noch lange nicht wahr. Und gerade wir Archäologen sollten in der jüngeren Vergangenheit gelernt haben, dass Geschichte niemals zur Legitimierung politischer Ziele herangezogen werden darf, mögen diese Ziele auch noch so gut sein.

Da die Diskussion um das Vorkommen von Thorshämmern von Kurzem wieder in meinem Umfeld aufflammte, möchte ich die tatsächliche Fundsituation einmal anhand der zentralen Literatur beleuchten.

Obgleich der Thorshammer sicherlich das bekannteste Symbol der Wikingerzeit ist, ist die Forschung dazu recht überschaubar. Die zentrale Publikation hat mein vor fünf Jahren verstorbener Doktorvater Prof. Dr. Jörn Staecker mit seiner Dissertation „Rex regum et dominus dominorum. Die wikingerzeitlichen Kreuz- und Kruzifixanhänger als Ausdruck der Mission in Altdänemark und Schweden“ 1999 vorgelegt (Jörn Staecker: Rex regum et dominus dominorum. Die wikingerzeitlichen Kreuz- und Kruzifixanhänger als Ausdruck der Mission in Altdänemark und Schweden. Lund Studies in Medieval Archaeology 23. Stockholm 1999). Die Arbeit erfasst 98 Thorshammeranhänger aus Dänemark und Süd- und Mittelschweden. Das Material aus der schwedischen Region Uppland – inklusive der Funde aus dem berühmten Handelsplatz von Birka im Mälaren – wurde 1970 in einer Abschlussarbeit durch Krister Ström ausgewertet, der auch die sogenannten „Thorshammerringe“ – eiserne Halsreife mit Anhängern in Form von Hämmern – mit einbezogen hat (Krister Ström: Om fynden av torshammarringar. Lic. avhandling, Stockholms Universitet. Stockholm 1970). Eine Zusammenfassung seiner Auswertung mit einem Schwerpunkt auf Birka wurde in Band 2 der Birka Studies veröffentlicht (Krister Ström: Thorshammerringe und andere Gegenstände des heidnischen Kults, in: Greta Arwidsson (Hrsg.): Birka II:1. Systematische Analysen der Gräberfunde. Stockholm 1984, S. 127–140.). Daneben gibt es eine Reihe von kürzeren Aufsätzen zu Thorshämmern und Thorshammerringen (die unten stehende Liste ist sicherlich nicht vollständig, umfasst aber die in meinen Augen zu der hier besprochenen Frage zentrale Literatur):

  • Gesine Schwarz-Mackensen: Thorshämmer aus Haithabu – Zur Deutung wikingerzeitlicher Symbole, in: Kurt Schietzel (Hrsg.): Das archäologische Fundmaterial III. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu, Bd. 12. Neumünster 1978, S. 85–93.
  • Galina L. Novikova: Iron neck-rings with Thor's hammers found in Eastern Europe. Fornvännen 87. 1992, S. 73–89.
  • Jörn Staecker: Thor’s Hammer – Symbol of Christianization and Political Delusion. Lund Archaeological Review 5. 1999, S. 89–104.
  • Egon Wamers: Hammer und Kreuz. Typologische Aspekte einer nordeuropäischen Amulettsitte aus der Zeit des Glaubenswechsels, in: Michael Müller-Wille (Hrsg.): Rom und Byzanz im Norden. Mission und Glaubenswechsel im Ostseeraum während des 8.–14. Jahrhunderts. Band 1. Mainz 1999, S. 83–107.
  • Sæbjørg Walaker Nordeide: Thor’s hammer in Norway. A symbol of reaction against the Christian cross?, in: Anders Andrén, Kristina Jennbert & Catharina Raudvere (Hrsg.): Old Norse religion in long-term perspectives. Origins, changes, and interactions. Vägar till Midgård 8. Lund 2006, S. 218–223.
  • Jasmin Lyman: Thorshammerrings – a new interpretation. CD-uppsats i arkeologi, Höskolan på Gotland. Visby 2007.

Etwa 27 % der 98 bis zum Jahr 1999 von Jörn Staecker für Dänemark und Süd- sowie Mittelschweden aufgenommenen Thorshämmer stammen aus Gräbern, der Großteil hingegen aus Depot- oder Siedlungsfunden. Sæbjørg Walaker Nordeide listet 12 Funde aus Norwegen auf, von denen vier aus Gräbern stammen. Von den sogenannten ‚Thorshammerringen‘ sind über 450 Exemplare bekannt, von denen über 90 % aus Gräbern stammen. Das Phänomen konzentriert sich deutlich auf die Region Uppland, einzelne Thorshammerringe sind aber auch von Gotland sowie aus Russland bekannt.

Die Verteilung der Thorshämmer als einfache Anhänger in den Gräbern ergibt ein interessantes Bild. Von den 15 Körpergräbern mit Thorshämmern, die Jörn Staecker für Dänemark und Süd-/Mittelschweden auflistet, handelt es sich bei 14 Gräbern (93 %) um Frauengräber. Unter den sieben Brandgräbern mit Thorshämmern sind drei Männerbestattungen, zwei Frauenbestattungen und zwei Bestattungen können nicht sicher einem Geschlecht zugewiesen werden. Der Anteil von Frauenbestattungen liegt hier bei 29 %. Bei den vier Gräbern mit Thorshämmern aus Norwegen, die Sæbjørg Walaker Nordeide auflistet, handelt es sich um zwei Männer- und zwei Frauenbestattungen, das Geschlechterverhältnis ist also ausgeglichen.

Auf ähnliche Relationen kommen auch Krister Ström und Jasmin Lyman bei ihren Auswertungen der Verteilung von Thorshammerringen in den Gräbern Upplands. Basierend auf dem bis 1970 ausgewerteten Material gibt Krister Ström eine Verteilung von 60 % in Frauengräbern zu 40 % in Männergräbern an. Jasmin Lyman geht basierend auf einer kritischen Reevaluation von Krister Ströms Katalog und den seit den 1970ern angetroffenen Exemplaren von einer annähernd ausgeglichenen Verteilung aus.

Allerdings ist hier nochmals etwas archäologische Quellenkritik notwendig. Frauenbestattungen sind – zumindest in der Wikingerzeit – zumeist einfacher zu identifizieren als Männerbestattungen, da Frauen oftmals mehr metallene Trachtelemente wie Fibeln oder anderer Schmuck mitgegeben wurde. Da besonders bei Altgrabungen, teilweise aber auch noch heute, die erhaltenen Knochen nicht immer von Anthropologen untersucht werden konnten, bestimmte man das Geschlecht der Toten zumeist ausgehend von dem Fundmaterial (die sogenannte ‚archäologische Geschlechtsbestimmung‘). Findet man in einem Grab aber keine aussagekräftigen Funde vor, die eine solche Geschlechtszuweisung wahrscheinlich machen, gehen diese Gräber als ‚unbestimmbares Geschlecht‘ in die Auswertung ein, auch wenn anzunehmen ist, dass es sich oftmals um Männergräber handelt. Dieser Umstand würde auch den Anteil von Männergräbern mit Thorshämmern und Thorshammerringen erhöhen.

Ein Fakt ist aber noch bedeutender: Ein Grab ist ein Grab ist ein Grab… das bedeutet nichts anderes, als dass Gräber nur bedingt Einblicke in die Lebenswirklichkeit der Menschen geben. Wir können ausgehend von den oben diskutierten Befunden nur schlussfolgern, dass die Sitte, Thorshämmer und Thorshammerringe in Gräbern zu deponieren, offensichtlich nicht auf Frauengräber beschränkt war. Ob Thorshämmer und Thorshammerringe aber zu Lebzeiten nur von Frauen, nur von Männern, von beiden Geschlechtern oder vielleicht sogar von niemandem getragen wurden, können wir nicht mit letzter Sicherheit entscheiden.

Der archäologische Befund zur Verteilung von Thorshämmern und Thorshammerringen in Gräbern ist also zwar nicht eindeutig, aber doch deutlich anders als in der eingangs genannten und so oft wiederholten Aussage. Thorshämmer waren keinesfalls ausschließlich ein rein weibliches Symbol.