Bei Untersuchungen in der Lavahöhle Surtshellir nahe des Langjökull im zentralen westlichen Island wurde durch Forscher des Haffenreffer Museum of Anthropology bereits 2012–2013 ein enorm spannender wikingerzeitlicher Kultplatz ausgegraben, der jetzt im Journal of Archaeological Science publiziert wurde.
Die Höhle Surtshellir entstand vermutlich im 9. Jahrhundert durch fließende Lava in Folge eines Vulkanausbruches des Langjökull und ist eine der längsten, bekannten Lavaröhren Islands. Die Höhle, die nach dem Feuerriesen Surtr der altnordischen Mythologie benannt ist, wurde bereits in der altnordischen Sagaliteratur des 13. Jahrhunderts erwähnt als Zuflucht von Gesetzlosen, die in den unwirtlichen Lavafeldern im Inneren der Insel leben mussten.
Die neuen Untersuchungen erlaubten nun mittels 14C-Datierungen, die Entstehung der Höhle besser nachvollziehen zu können. Der Lavatunnel bildete sich, als bei einem Ausbruch des Langjökull im späten 9. Jahrhundert etwa 240 km² mit Lava bedeckt wurden. Spannenderweise legt diese Datierung nahe, dass die ersten, aus Norwegen stammenden Siedler, die sich ab 870 auf Island niederließen, diesen Vulkanausbruch vermutlich miterlebt haben. Es kann nur darüber spekuliert werden, welche gewaltigen Eindrücke ein Vulkanausbruch bei den Wikingern hinterlassen haben muss.
Einen möglichen Hinweis darauf, wie sehr sich dieser Vulkanausbruch in das Bewusstsein und die Mythologie der Wikinger einprägte, fanden die Forscher nun bei den Ausgrabungen 300 Meter tief in der Höhle Surtshellir mit einem mutmaßlichen Kultplatz. Etwa 10 Meter unter der Erde war mit großen Felsblöcken eine schiffsförmige Struktur gebildet worden, in der große Mengen von verbrannten Tierknochen von Schafen/Ziegen, Pferden, Schweinen und Rindern lagen. Zudem fanden sich Perlen und ein kleines kreuzförmiges Bronzegewicht. Weitere Haufen mit Tierknochen zogen sich fast 120 Meter durch die Höhle.
Die Datierungen der Knochen legen nahe, dass Surtshellir bereits wenige Jahre nach der Entstehung als besonders mystischer Ort wahrgenommen wurde, vielleicht als Schwelle zwischen dem Diesseits und der Unterwelt. Möglicherweise sind die Tierknochen die Reste von Opferritualen, mit denen die Wikinger unter dem Eindruck des Vulkanausbruches die Götter besänftigen wollten. Interessanterweise endeten die rituellen Handlungen in Surtshellir relativ zeitgleich mit der offiziellen Annahme des Christentums auf Island im Jahr 1000 und auch die Deponierung des kreuzförmigen Bronzegewichtes kann möglicherweise als eine christliche ‚Versieglung‘ des heidnischen Opferplatzes verstanden werden.
Die neuen Ergebnisse aus Surtshellir erweitern nicht nur unser Wissen um religiöse Aktivitäten der Wikinger auf Island, sondern sie lassen auch die mythologischen Überlieferungen der altnordischen Literatur in neuem Licht erscheinen. Möglicherweise hielt die Erinnerung an den Vulkanausbruch Einzug in die wikingerzeitliche Mythologie und war Ausgangspunkt für die Vorstellung von Ragnarök als Untergang der Welt. Darauf könnte auch der Name der Höhle hindeuten, denn der Feuerriese Surtr ist der altnordischen Mythologie zufolge einer zentralen Protagonisten im finalen Kampf der Götter mit den Riesen.
Das Surtshellir Archaeological Project hat auch eine Facebook-Seite, auf der neue Ergebnisse vorgestellt werden.